Predigt zu 1. Kor. 13, 1-7

Einstieg:

Manchmal gelingt es Menschen, Worte zu sprechen, die herausragen. Worte, die einen Moment oder eine situation so gut und unvergleichlich festhalten, daß Menschen sie lange und immer wieder erinnern. Kennedeys “Ich bin ein Berliner” waren solche Worte oder auch Goethes “Mehr Licht” ist ein solches Beispiel. Diese Worte haben Menschen begeistert, zum nachdenken gebracht oder sonstwie stark beeindruckt.

Auch die Bibel hat solche Worte, die herausragen, herausragen aus all den anderen wichtigen und guten Worten der Bibel. Über solche Worte möchte ich heute nachdenken. Sie stehen in 1. Kor. Kapitel 13, die Verse 1 bis 7.

TEXT LESEN

Der Text handelt von Liebe

Dieser Text handelt von der Liebe. Nicht irgendwelcher Liebe, nein von DER Liebe. Er wird gerne benutzt in Zusammenhang mit der Liebe zwischen Mann und Frau, insbesondere bei Hochzeiten wird gerne der Vers 13 dieses Kapitels genommen “Nun bleiben Glauben, Hjoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die grösste unter ihnen”. Ich hatte immer Probleme mit der Zuordnung dieses Textes zu dem rosaroten, hormoninduzierten Schleier, den man am Tage seiner Hochzeit mit sich herum trägt. Die Liebe, die man empfindet, wenn eine Beziehung frisch ist und man mit Begeisterung alles gut findet, was der neue Partner so an den Tag legt, erschien mir immer viel zu klein, viel zu ordinär, verglichen mit dem, was in diesem Text gemeint ist. Ein anderer Gedanke wäre: Heute ist Muttertag, auch in diesem Zusammenhang ist oft von Liebe die Rede. Kann denn Mutterliebe ein Spiegel der Liebe sein, von der in diesem Text die Rede ist?

Welche Gedanken werden über die Liebe geäussert?

Schauen wir uns die Gedanken, die hier über die Liebe geäussert werden, einmal näher an. Im ersten Vers ist vom Reden die Rede. Vom Reden mit Menschenzungen und mit Engelszungen. Die Rhetorik war zu Paulus Zeiten eine ganz wichtige Wissenschaft. Ein guter Rhetoriker war hoch angesehen und die Leute nahmen viel Mühe auf sich, um solch einen Redner hören zu können. Und Paulus stellt sich solch einen guten Rhetoriker vor, vermutlich jemanden, der in der Gemeinde mit wunderbarer Rhetorik das Wort Gottes verkündet. Wir sind ja heute nicht viel anders. Wie viel würden wir geben, wenn unsere Prediger wirklich mitreissende Redner wären. Wenn man in den Gottesdienst käme und eine echt gute Show geboten bekäme. Da würde man nach aussen eine echte Anziehungskraft haben, dann würde die Gemeinde wachsen, so etwas brauchen wir, nicht wahr?

Was ist, wenn keine Liebe (Reden)?

Aber was ist, wenn dieser Redner die Liebe nicht hat? Dann wäre es eben nichts anderes als eine Show. Paulus benutzt hier die Bilder vom tönenden Erz oder der klingenden Schelle. Beides sind Instrumente, die nichts zur Melodie beitragen. Was hätten wir also von solch einem Redner, wenn er die Liebe nicht hat? Würden wir das überhaupt merken? Wäre es uns überhaupt wichtig? Ich denke, wir sollten nicht vorschnell sagen, nein, die Liebe ist uns viel wichtiger. Denn was wäre, wenn unser Prediger zwar die Liebe, aber nicht die Rhetorik hätte? Würden wir dann nicht unzufrieden sein, nur noch ungern in den Gottesdienst kommen und versuchen einen anderen Prediger zu bekommen? Natürlich wäre es am Schönsten, wenn beides zusammen käme, aber was ist uns wirklich am Wichtigsten, die Liebe oder die Rhetorik?

Was ist wenn keine Liebe (Glauben)?

Aber vielleicht sagen wir, daß der Glaube das Wichtigste sei. Durch den Glauben sind wir gerettet, hat Jesus gesagt. Paulus betont an anderer Stelle, daß der heilige Geist uns Erkenntnisse bringt und Geheimnisse offenbart. Und das stimmt. Der Glaube ist es, der uns in den Gottesdienst treibt und dadurch, daß wir mit Jesus Kontakt bekommen, erfahren wir sonst völlig unverständliche Geheimnisse. Durch den Glauben - und wenn wir nur ein winziges Korn voll davon hätten - können wir Berge versetzen. Und Menschen, die solch einen Glauben an den Tag legen, werden von uns mit Recht bewundert. “Ach hätte ich doch nur Deinen Glauben”, sagt man dann. Doch im zweiten Vers unseres Textes heisst es - “und hätte ich die Liebe nicht, dann wäre ich nichts”. Und wieder stellt sich die Frage, auf die wir auch im ersten Vers gestossen sind. Was ist uns wichtiger, Glaubenskraft oder Liebe? Am Besten ist natürlich beides zusammen, aber was, wenn jemand zwar die Liebe hat, aber die Glaubenskraft nicht aufbringt? Was wäre er dann?

Was ist, wenn keine Liebe (Tat)?

Doch letztendlich wird die Gemeinde doch zusammengehalten durch die Tat. Was wären wir ohne all die Menschen, die Zeit, Geld und Energie opfern, um etwas zu bewegen oder auch nur einfach in Gang zu halten. Unsere Taten erscheinen uns nicht so großartig, wie die der Märtyrer, die ihr Leben dahingaben um ihres Glaubens willen. Oder wie die der ersten Christen, die all ihr Hab und Gut verkauften, um es den Armen zu geben. Was sind dagegen unsere Taten, das Putzen in der Gemeinde, das tägliche Organisieren und Vorbereiten, das Umeinander Kümmern oder auch nur das Spenden? Aber Paulus macht es klar, es geht nicht darum, wie großartig eine Tat ist. Es geht darum, daß man die Liebe dabei hat. Und wieder die Frage, was ist uns wichtiger, die Tat oder die Liebe. Was ist mit jemanden, der die Liebe zwar hat, sich aber nicht durch Taten hervortut?

Was bedeutet Liebe haben?

Drei Situationen, dreimal dieselbe Frage, was ist, wenn man zwar die Liebe hat, aber nicht begeistert reden kann, nicht alle Glaubenskraft besitzt und nicht vor Tatendrang sprüht. Ohne Liebe ist man nichts, aber reicht Liebe alleine? Dreimal sagt Paulus “aber hätte ich die Liebe nicht, so...” Ich frage als Erwiderung, was ist, wenn man die Liebe hat? Was bedeutet es überhaupt “die Liebe zu haben? Denkt man darüber nach, dann wird klar, daß es gar nicht so offensichtlich ist, was Paulus hier meint. Es gibt tatsächlich zwei verschiedene Betrachtungsweisen zu dieser Aussage.

Normal: Liebe empfinden

Einmal wäre da das normale Verständnis, ich habe - meint ich empfinde - Liebe für etwas oder für jemanden. Zumindestens wird dieser Text oft so behandelt als würde die Aussage “ich habe die Liebe nicht” bedeuten “ich empfinde keine Liebe”. Wenn das die richtige Deutung ist, dann ist natürlich die naheliegende Frage die, wofür soll ich denn Liebe empfinden. Ich rede mit Menschen- und Engelszungen und ich habe die Liebe, was liebe ich denn dann? Meine Zuhörer, das Thema über das ich rede oder denjenigen über den ich rede? Und wenn ich Glaubenskraft und alle Erkenntnis habe und die Liebe habe, was liebe ich dann? Meinen Glauben, denjenigen an den ich glaube? Und wenn ich mich opfere und alles von mir dahin gebe und die Liebe habe, was liebe ich dann? Den, für den ich das hingebe oder den, der der Grund ist, weswegen ich alles hingebe?

Eigentlich: Liebe von Gott bekommen

Bevor ich das beantworten kann, muß ich die andere Betrachtungsweise des Ausdrucks “die Liebe haben” ins Spiel bringen. Die Liebe haben kann auch bedeuten, daß ich etwas von jemendem bekommen habe. Die Liebe, das ist Gottes Liebe. Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszunge reden und Gott hat mir seine Liebe dazu gegeben, dann ist es gut. Und wenn ich alle Glaubenskraft besitze und Gott hat mir seine Liebe dazu gegeben dann bin ich wer. Und wenn ich mich opfere und Gott hat mir seine Liebe dazu gegeben, dann wird mir das hoch angerechnet. Ich denke das ist das erste Verständnis dieses Ausdrucks “die Liebe haben”, Gott hat mir etwas gegeben, was ich vorher nicht hatte, seine Liebe nämlich. Die Liebe hat ihren Ursprung und Urgrund in Gott, dadurch daß Gott diese Liebe in mich hineinlegt, bekommen meine Fähigkeiten und meine Taten überhaupt erst Sinn.

Geschenkte Liebe bewirkt etwas

Aber natürlich soll die Liebe dort in mir etwas tun, etwas bewirken. Sie darf, nein sie kann nicht einfach nur gehortet werden, wie ein Besitztum. Sie wird eine Wirkung nach aussen entfalten. Und hier kommt die erste Deutung wieder ins Spiel, die ich eben gebracht habe. Gottes Liebe in mir bewirkt, daß ich Liebe empfinde - Gottes Art der Liebe. Für mein Thema, für meine Zuhörer, für meinen Glauben, für Gott oder für den Bedürftigen. Ich denke für alle diese Aspekte des Liebens lassen sich Argumente finden, jedes trägt einen kleinen Anteil an dem, was diese Sätze aussagen wollen. Darum ist keines dieser Gedanken richtiger oder falscher als die anderen, ich bin sogar sicher, daß es weitere Aspekte des Liebens in den genannten Situationen gibt. Wichtig ist, daß diese Liebe nicht aus mir heraus produziert wird, sondern daß sie ein Geschenk Gottes ist, das ich einfach nur weitergebe. Auf diese Weise sind beide Seiten beteiligt, Gott als den Geber der Liebe und ich selbst als derjenige, der diese nicht für mich behält, sondern weiterträgt.

Wie macht sich Liebe bemerkbar?

Wenn ich jetzt zurückkehre zu meiner Frage von eben, was ist, wenn Gott mich mit Liebe gefüllt hat, alles sich in mir drängt, diese weiterzugeben, aber ich bin einfach kein guter Rhetoriker, mein Glaube ist winzig und mein Tatendrang beschränkt, was dann? Wie macht sich die Liebe dann überhaupt bemerkbar? Nun, auch diese Frage beantwortet Paulus in diesem Text.

Liebe ist langmütig und freundlich

Die Liebe ist langmütig und freundlich. Mit anderen Worten, Gott ist zu mir langmütig und freundlich, d.h. er erträgt meine Kapriolen, er redet mit mir geduldig, er ist nett zu mir. Und wenn er seine Liebe in mich hineinlegt, dann gehe ich wiederum so mit meinen Nächsten um. Jemandem, den ich liebe, verzeihe ich viel schneller, ich sehe ihm Dinge nach, ich versuche freundlich zu ihm zu sein. Hier ist das Bild der Liebe zwischen Mann und Frau hilfreich. Den neuen Partner behandelt man doch sehr oft mit Samthandschuhen, jede Seite an ihm weckt eher Freude und auch Fehler werden schnell nachgesehen. Das Zusammensein soll durch kein Streit getrübt werden, man ist schlicht freundlich zueinander. Ja, das könnte ein spiegel dessen sein, was hier gemeint ist mit “der Liebe”. Natürlich wissen wir, wie schnell diese erste Phase einer Beziehung vorbeigeht, aber davon später. Erst einmal können wir festhalten, daß das, was in dieser Phase vor sich geht, ein Abbild der grossen, göttlichen Liebe ist.

Die Liebe eifert nicht

Die Liebe eifert nicht. Was passiert denn, wenn ich mich ereifere? Wenn man sich ereifert, dann möchte man eine Meinung oder eine Sichtweise mit aller Macht rüberbringen, dann wird eine Argumentation emotional, dann schaltet man ab für sein Gegenüber, sondern will nur noch, daß der Andere zugibt, daß er unrecht hat. In diesem Sinne ist ereifern so etwas wie Rechthaberei. Aber Gott will nicht mit allen Mitteln, daß wir zugeben, daß er recht hat, er lässt uns mit unserer Meinung stehen, auch wenn er weiss, wie falsch wir liegen. Ebenso soll es uns gehen, wenn wir seine Liebe haben. Wir wollen dann nicht mit allen Mitteln Recht bekommen und so dem anderen eine Niederlage beibringen. Wieder ist die Liebe einer neuen Beziehung ein Beispiel für diesen Fall. In dieser Situation sind wir viel eher bereit, ein Auge zuzudrücken und zu denken, “ich glaube zwar, daß ich Recht habe, aber um Deinetwillen lasse ich deine Meinung gelten”.

Die Liebe treibt nicht Mutwillen

Die Liebe treibt nicht Mutwillen. Wenn man Mutwillen treibt, dann denkt man an das Gegenüber als Unterlegenen. Diese Unterlegenheit nutzt man aus, man macht den Anderen zu einem Spielball seiner Gelüste, seines Sinns von Humor, seines Strebens, Macht auszuüben. Der Andere wird sozusagen ein Gegenstand. Man stelle sich einmal vor, Gott würde mit uns Mutwillen treiben. Kaum auszudenken, Gott wäre nicht besser als die ganzen Heerscharen der griechischen und römischen Gottheiten. Aber Gott sei Dank liebt Gott uns, er treibt nicht Mutwillen. Genauso sollen wir es mit Anderen halten. Seinen Mutwillen treiben ist ein Ausdruck äussersten Egoismus. Aber die Liebe achtet den Anderen und stellt das eigene Ego ihm gleich. Da ist kein platz mehr für Mutwillen.

Die Liebe bläht sich nicht auf

Die Liebe bläht sich nicht auf. Sinn und Zweck des Aufblähens ist es, sich selbst grösser zu machen. Man will etwas gelten, was man nicht ist. Man will machtvoller erscheinen als man ist. Man will glänzen, wo Glanzlosigkeit herrscht. Hier hinkt der Vergleich mit einer frischen Beziehung zwischen Mann und Frau. Wie häufig ist es, daß man Angst hat, seiner neuen Flamme seine dunklen Seiten zu zeigen und deshalb versucht, besser dazustehen als man ist. Aber das ist eigentlich Lieblosigkeit. Man belügt den anderen, man täuscht ihn und manipuliert ihn. Deshalb ist es mit Liebe nicht vereinbar, wenn man sich aufbläht.

Die Liebe verhält sich nicht ungehörig

Die Liebe verhält sich nicht ungehörig. Das ist schon etwas schwieriger, denn was gehörig und was ungehörig ist, ist eine Frage der Kultur. In verschiedenen Kulturen galten verschiedene Dinge als ungehörig oder gehörten sich einfach so. Diese Dinge sind auch einem ständigen Wandel unterworfen. Etwas, was vor zwanzig Jahren ungehörig war, ist heute zum Teil ganz normal. Die Ursache dieser, zum Teil begrüssenswerten, zum Teil bedauernswerten Entwicklung war, daß Menschen, meistens Jugendliche, gegen Dinge protestierten, die sich einfach gehörten oder Dinge taten, die ungehörig waren. Auf diese Weise ist Veränderung möglich. Aber die Liebe, sie handelt nicht ungehörig, warum? Nun gemeint ist, daß sie nicht gegen das handelt, was der andere als ungehörig empfindet. Verstossen wir dagegen, dann wird der andere in seinen Ansichten angegriffen, missachtet, verletzt. Und genau das will die Liebe nicht. Sie möchte den anderen mit Achtung behandeln, ihn in seinen Ansichten stehenlassen und ihn als wertvoll ansehen. Deshalb handelt die Liebe nicht ungehörig.

Die Liebe sucht nicht das ihre

Die Liebe sucht nicht das Ihre. Das ist eigentlich klar. Die Liebe ist nicht egoistisch. Liebt man jemanden, dann wird das Wohlergehen des anderen einem wichtiger ein als das eigene Wohlergehen. Ich werde versuchen zu erreichen, daß es dem anderen gut geht, versuchen ihm Freude zu machen, das tun was der andere benötigt. Hier ist die Liebe zwischen Mann und Frau wieder ein ganz gutes Bild. Wichtig ist aber, daß man daran denkt, daß Gott uns mit dieser Liebe liebt. Wenn Gott handelt, dann hat er nicht seinen eigenen Vorteil im Sinn. Gott denkt an unser Wohl und deshalb kann man ihm auch vertrauen und seiner Führung folgen.

Die Liebe lässt sich nicht erbittern

Die Liebe lässt sich nicht erbittern. Sich nicht erbittern lassen, das ist schon sehr schwierig. Da begegnet man einem mit Liebe und immer und immer wieder nutzt derjenige mich aus, täuscht mich, verletzt mich, stösst mich zurück. Wie soll einen das nicht verbittern. Aber denken wir nur daran, wie Gott von uns denken müsste. Wie oft haben wir ihn enttäuscht, zurückgestossen, verletzt, belogen. Gott hat wirklich allen Grund verbittert über uns zu sein. Aber er ist es nicht. Wieder und wieder zieht er uns auf seinen Weg zurück, hat Geduld mit uns und freut sich unbändig, wenn wir doch einmal das Richtige tun. Er liebt uns eben. Und genauso soll die Liebe geduldig sein und sich nicht erbittern lassen. Wie sollten wir unseren Nächsten nicht genau solche Reaktionen zu Gute kommen lassen, die Gott uns zu Gute kommen lässt.

Die Liebe rechnet das Böse nicht zu

Die Liebe rechnet das Böse nicht zu. Paulus ist, wie die ganze Bibel auch, realistisch. Selbst wenn ich jemanden liebe und in rosaroten Wolken zu schweben scheine, ich bin nicht davor gefeit, daß der andere mir mit Bösem begegnet, ob nun mit Absicht oder nicht. Gerade wenn ich solche Empfindungen gegen jemanden habe und der andere davon weiss, bin ich besonders verletzbar. Wenn dann der andere mein Entgegenkommen nicht würdigt, sondern auch noch mit Füssen tritt, dann ist die Versuchung besonders groß, Böses mit Bösem zu vergelten und das auch niemals zu vergessen. Aber wahre Liebe zeichnet sich darin aus, daß sie das Böse gerade nicht zurechnet. Man leidet, ja, man ist am Boden zerstört, ja, aber die wahre Liebe sagt “Weil Du es bist, weil ich Dich liebe, kann ich Dir verzeihen, selbst wenn Du eine echte Beziehung vielleicht unmöglich gemacht hast.”

Die Liebe freut sich nicht an Ungerechtigkeit, sondern an Wahrheit

Die Liebe freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit. Ein merkwürdiges Gegensatzpaar, das Paulus hier bringt, Ungerechtigkeit und Wahrheit. Daß Liebe sich nicht an der ungerechtigkeit freut, ist schon verständlich. Denn die Liebe achtet auf den anderen, empfindet mit, wenn er leidet. Und jemand, der Ungerechtigkeit erfährt, der leidet. Und die Liebe leidet mit und kann sich darüber nicht freuen. So weit ist alles verständlich. Aber warum sagt Paulus nicht, daß die Liebe sich an der Gerechtigkeit freut? Vielleicht weil Gerechtigkeit zwar eine wichtige und auch erstebenswerte sache ist, aber nicht unbedingt eine Sache, über die man sich freuen kann. Stellt jemand, den ich Liebe etwas an und wird derjenige bestraft, dann ist das gerecht. Aber wenn ich ihn liebe, dann freut mich diese Strafe nicht, im Gegenteil, ich leide mit - egal wie sehr ich einsehe, daß das gerecht ist. Aber an der Wahrheit kann man sich freuen, auch wenn sie zu unangenehmen Konsequenzen führt. Durch die Wahrheit, durch das Aufdecken von Lüge, wird jede Ungerechtigkeit aufgedeckt. Durch die Wahrheit werden wir frei, werden wir von Lasten befreit, kann das Böse nicht weiter wirken. Deshalb liebt die Liebe die Wahrheit, insbesondere wenn sie mit Selbsterkenntnis gepaart ist.

Die Liebe glaubt, hofft, erträgt,duldet alles

So also sieht Liebe aus, langmütig, freundlich, nicht eifernd, nicht Mutwillen treibend, sich nicht aufblähend, nicht ungehörig, nicht selbstsüchtig, nicht erbittert, Böses nicht nachtragend, nicht freuend über Ungerechtigkeit, Wahrheitsliebend. Das alles kann man auch alles einsehen und verstehen, zum Teil mit dem Bild der Liebe zwischen Mann und Frau oder auch mit dem Bild der Mutterliebe. Aber der nächste Vers geht wirklich über die Hutschnur: “Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, duldet alles”.

Alles??

Das ist jetzt schon harter Tobak. Wenn man sagen würde, “die Liebe erträgt manches”, dann könnte man dem zustimmen, “die Liebe glaubt manches oder hofft manches oder duldet manches”, dann würden wir uns wiederfinden. Aber “alles”??

Das ist eine Zumutung

Schon die erste Aussage “die Liebe erträgt alles” ist eine reine Zumutung. Wir können uns problemlos Situationen vorstellen, in denen jede Liebe zerbricht. Hier geraten auch unsere Bilder von der Liebe zwischen Mann und Frau oder von der Mutterliebe ins Wanken. Keine eheliche Liebe oder keine Liebe zu seinem Kind erträgt alles.

Oder “die Liebe glaubt alles”. Klar, es wird gesagt, daß Liebe blind macht, das ist schon ein Hinweis darauf, daß man in Liebe vertrauensseliger ist als in anderen Situationen. Aber irgendwo sind auch da die Grenzen.

Bei “die Liebe hofft alles”, erscheint es schon eher möglich, das alles hochzuhalten. Immer hofft man, daß der andere sich einem zuwendet oder auf die Liebe positiv reagiert oder sich sonstwie so bessert, wie die Liebe es gerne will. Aber auch in diesem zusammenhang ist alles ein extrem starkes Wort.

“Die Liebe duldet alles” ist aber auch wieder viel zu viel. Selbst in der extremsten Liebe wäre es auch gar nicht vernünftig, alles zu dulden, man würde sich in keinem Fall einen Gefallen tun und wenn die jung verliebte frau nicht rechtzeitig Einhalt gebietet, wenn der Mann sich Bequmlichkeiten herausnimmt, dann ist der same für eine schwere Krise in späterer Zeit bereits gelegt.

Menschlich nicht möglich

Also wie man es auch dreht und wendet, das Wort alles in unserem Text ist einfach zu viel. Keine menschliche Liebe kann diesem Satz entsprechen. Aber das ist auch lediglich ein Zeichen, daß hier gar nicht von menschlicher Liebe die Rede ist. Es ist von der Liebe Gottes die Rede und diese Liebe ist grenzenlos. Diese Liebe lässt alles hinter sich. Alle menschliche Vernunft, alle menschlichen Grenzen, alle menschliche Begrenztheit.

Der Text ein fernes Ziel: Gottes Liebe

Und damit wird dieser Text zu etwas, was uns vielleicht träumen lässt, etwas zu dem wir uns vielleicht ausstrecken können, was wir aber niemals erreichen können. Dieser Text sagt ganz klar "so ist Gottes Liebe”. Und diese Liebe hat Gott in uns hineingelegt. Aber durch unsere Begrenztheit sind wir niemals in der Lage, diese Liebe in derselben Form weiterzugeben wie wir sie empfangen hat. Und damit macht dieser Text nicht nur klar, wie das Ideal aussieht, sondern auch deutlich, daß wir niemals in der Lage sein werden, diesem Ideal zu entsprechen. Diese Tatsache nennt die Bibel Sünde.

Egal wie gute Menschen wir sind, egal wieviel Gutes wir tun in unserem Leben, wir werden niemals so leben, wie Gott es sich eigentlich für uns vorgestellt hat. Und das bedeutet, daß wir auf jeden Fall der Rettung bedürfen. Und damit steht unser Text in vollkommenen Einklang zu den anderen Texten des neuen Testamentes.

Was sollen wir tun?

Was sollen wir also tun? Das Ideal zurückweisen, weil es doch nicht erfüllbar ist und übergehen auf eine handlichere, menschlichere Variante, wie zum Beispiel im Hinduismus und Buddhismus, wo es allein darauf ankommt, daß die guten Taten im Leben ein Übergewicht haben? Oder diesem Sinnspruch anhängen, der in unseren Breiten viele Anhänger findet “Tue recht und fürchte niemand?” Oder die Liebe als Ideal an sich zurückweisen, wie das in einigen Bewegungen heutzutage durchaus üblich ist?

Nein, versuche zu erreichen

Nein, all das ist nicht der richtige Weg. Das Ideal steht und Gott macht es uns vor. Wir können vor der Unendlichkeit Gottes nicht bestehen, das ist die schlechte Nachricht, aber Gott weiss das und das ist die gute Nachricht. Und das sagt auch unser Text aus. Wenn ich die Liebe habe, so sagt unser Text indirekt, dann werden aus meinen Fähigkeiten und meinen Taten wichtige Dinge, dann bin ich wer, dann nützt es mir etwas, dann wird mir das zum Vorteil angerechnet.

Die Liebe nicht genetisch, sondern ein Abbild der Liebe Gottes

Mit anderen Worten heisst das, daß ich zwar das Ideal nicht erreichen kann, dass mir aber der menschliche Abklatsch des Ideals unendlich viele Vorteile bringt, wenn er nur seinen Urgrund in dem hat, was Gott in mich hinein gelegt hat. Und gerade in diesem Punkt kommen die beiden Bilder der Liebe, die ich bislang benutzt habe, ins trudeln. Ja, diese beiden Bilder - die Liebe zwischen Mann und Frau und die Mutterliebe - sind gut, um die vielen Aspekte der Liebe zu verstehen, so wie ich das vorhin auch benutzt habe, und sie sind gut, weil jeder Mensch diese beiden Bilder mit seiner Erfahrung vergleichen kann. Praktisch jeder hat Mutterliebe oder so etwas ähnliches empfangen, praktisch jeder hat die frische Liebe zwischen Mann und Frau erlebt oder zumindest beobachtet. Und mit diesem Erfahrungshintergrund ist man in der Lage, das Phänomen Liebe zumindest zu erahnen.

Aber gerade weil diese beiden Bilder universal ist, hinken sie in dem Zusammenhang, in dem unser Text die Liebe betrachtet. Unser Text sagt aus, daß die Liebe dann ihre Wirkung entfaltet, wenn Gott sie in uns hinein gelegt hat. Nun kann man sagen, daß Gott die Liebe zwischen Mann und Frau und die Mutterliebe in uns hinein gelegt hat, indem er sie in unseren Genen verankerte. Nach dieser Überlegung ist Gott auch in diesen beiden Aspekten von menschlicher Liebe der urgrund und damit sind diese Formen der Liebe nichts anderes als hoch zu achten. Aber unser Text kommt erst dann richtig zur Geltung, wenn wir die Liebe betrachten, die dadurch entsteht, daß man Gottes Liebe für sich annimmt und sich bewusst unter Gottes Herrschaft stellt. Und das ist etwas, was nicht in unsere Gene gelegt ist, etwas das, eine bewusste Entscheidung und Veränderung notwendig macht.

Der Text: Erst die Ausübung der Liebe macht uns zu dem, was die Bibel will

Und damit werden die Aussage in unserem Text auch erst richtig verständlich. Wenn ich mit Engelszungen rede und habe mich wegen der Liebe Gottes unter diese Liebe gestellt, dann bin ich ein Instrument in den Händen Gottes. Wenn ich alle Erkenntnis habe und allen Glauben und habe dieses wegen der Liebe Gottes unter diese Liebe gestellt, dann bin ich ein grosser Mensch im Reich Gottes. Und wenn ich viel opfere und stelle diese Opfer wegen der Liebe Gottes unter diese Liebe, dann wird mir das hoch angerechnet.

Die Liebe verändert, aber Wunder sind eben selten und allein Gottes Sache

Und damit wird auch die Frage, die ich zu Beginn meiner Überlegungen gestellt habe, beantwortet. Was ist, wenn ich zwar die Liebe habe, aber kein rhetorischer Überflieger, kein Glaubenskrieger und kein überschäumender Tatmensch bin? Nun, ganz einfach, das ist menschlich. Gottes Liebe ist unendlich und wenn ich mich unter diese Liebe stelle, mich von dieser Liebe erfüllen lasse, dann hat das mit Sicherheit Auswirkungen. Aber wir dürfen nicht erwarten, daß dann plötzlich auf jeden Fall alles besser, schöner und toller wird. Wir dürfen nicht erwarten, daß aus einem stotternden Zweifler ohne Tatendrang plötzlich ein glänzender Rhetoriker, ein machtvoll Glaubender oder ein glanzvoll Tuender wird. Gut, das kann vorkommen, aber in jedem der Fälle, wo das vorkommt, ist es ein individuelles Geschenk Gottes, das keinen automatischen Anspruch darauf erhebt, daß das immer so ist.

Wir sind begrenzt, daher Sündenbekenntnis

Und damit müssen wir uns damit abfinden, mit unseren menschlichen Schwächen und Begrenztheiten zu leben. Genauso wie die Liebe uns dazu fähig machen kann, aus den Begrenztheiten auszubrechen, sollte sie uns dazu fähig machen, damit umzugehen, sowohl mit unseren eigenen Begrenztheiten als auch mit denen der anderen. Dazu gehört, die eigenen Grenzen zu erkennen und Fehler und Sünden zu bekennen. Dazu gehört, eine Beziehung zu den anderen aufzubauen und mit dem Bewusstsein der eigenen grenzen auf Fehler und Fehltritte hinzuweisen. Dazu gehört auch, sich immer wieder des Vorbilds und Ideals der Liebe Gottes bewusst zu werden und sich daran zu orientieren. Wenn das in einer Gemeinde gelingt, dann werden wir und Aussenstehende mit Staunen feststellen können: Hier weht der Geist Gottes.

Amen.