Predigt zu 1. Petrus 2, 1-10

Einstieg:

Ich weiss ja nicht, was Ihr so denkt, wenn Ihr mich zum Gottesdienst oder bei anderen Gelegenheiten seht. Vielleicht ist das ja auch ganz gut so, dass ich das nicht weiss. Natürlich hoffe ich, dass es was Gutes ist, was Ihr denkt, wie z.B. „oh, wie schön, da ist Thomas“, aber vielleicht ist das ja auch etwas nicht so freundliches, wie z.B. „Ah, da kommt unser Dickerchen wieder“.

So etwas denke ich auf jeden Fall über mich, wenn ich die Treppen zu unserem Schlafzimmer heraufgehe. Britta, meine Frau hat nämlich am Treppenabsatz einen Spiegel angebracht und immer, wenn ich es wage, beim Hinaufgehen den Kopf zu heben, dann schiesst es mir durch den Kopf, dass ich eigentlich ein paar Kilo zuviel auf den Rippen habe und dass es wieder einmal Zeit wäre, ein paar Kilo abzunehmen. Aber wie viele von Euch vielleicht wissen, ist das mit dem Abnehmen nicht ganz so einfach, ich nehme es mir zwar oft vor – meistens nach einem ausführlichen und satt-machenden Essen – aber irgendwie gerät der gute Vorsatz dann nur zu bald wieder in Vergessenheit. Und so setze ich mich mit den Gedanken ans Abnehmen eigentlich nur selber unter Druck.

Und so ist es richtig erfreulich, dass die Bibel da ganz anders denkt. Wenn es nach der Bibel geht, dann sollen wir gar nicht abnehmen, sondern tatsächlich sollen wir zunehmen. Und über solch einen Abschnitt, der uns zum zunehmen rät, will ich heute nachdenken. Und vielleicht finde ich ja sogar eine Möglichkeit, das Zunehmen irgendwie auf die Kilos zu beziehen, die man so mit sich herumschleppt.

Text lesen:

LESEN 1. Pet. 2, 1-10

Historischer Hintergrund:

Hier also schreibt Petrus, der Fischer, der Führer der Jünger Jesu, der Fels, auf dem die urchristliche Gemeinde gebaut wude, einen Brief. Tatsächlich schreibt er ihn aber nicht selber, als Fischer war er vermutlich des Schreibens nicht unbedingt mächtig, auch wenn anzunehmen ist, dass er als wichtiger Führer der Gemeinde zuminde-stens Lesen konnte.Aber in Kap 5,12 wid bemerkt, dass Silvanus den Brief geschrie-ben hat. Silvanus ist langjähriger Begleiter des Paulus gewesen und er ist vermutlich Petrus zur Seite gestellt worden, um ihn bei seinen Aufgaben zu unterstützen. Eben-so vermutlich hat er das Aramäisch des Petrus auch ins Grechische übersetzt.

An wen geht der Brief:

In welcher Situation schreibt Petrus diesen Brief? Am Anfang des ersten Kapitels werden die Adressaten genannt, die Gemeinden in Pontus, Galatien, Kapadozien, der Provinz Asien und in Bithynien. Das ist die Gegend am nordöstlichen Teil von Kleinasien, wo die Gemeinden zum Teil von Paulus gegründet worden sind und die vermulich auch Silvanus kannten. Am Schluss erwähnt Petrus die „Mitauserwählten in Babylon“, von denen Grüsse ausgerichtet werden. Nun ist es zwar möglich, dass sich Petrus in Babylon aufgehalten hat, aber noch wahrscheinlicher ist, dass Petrus hier eine Umschreibung benutzt und mit Babylon das Zentrum der damaligen Macht bezeichnet, also Rom. Dies wüde dafür sprechen, dass Petrus diesen Brief verfasst hat, als er sich in Rom aufhielt, möglicheweise zu der Zeit, in der sich Paulus in Gefangenschaft und/oder auf der Reise nach Rom befand. Die Gemeinden in Kleinasi-en waren damit der obersten Führung beraubt und benötigten geistlichen Beistand.

Angriff der jüdischen Gemeinden:

Es ist anzunehmen, dass die Umgebung der Gemeinden versuchten, aus der Nicht-Anwesenheit der christlichen Führung Kapital zu schlagen und die Gemeinden be-sonders bedrängten. Insbesondere den Juden dürfte die schon zu lange andauernde Existenz der christlichen Konkurenz auf die Nerven gegangen sein. Streit mit den jüdischen Gemeinden dürften daher an der Tagesordnung gewesen sein.

Seid Wahrhaftig:

In so eine Situation schreibt also Petrus einen Brief, um die Gemeinden aufzurichten und zu stärken. Im ersten Kapitel beginnt er zunächst, indem er auf das Ziel des Glaubens – das Heil des Glaubenen im ewigen Reich Gottes – und auf den Weg zum Glauben – Gehorsam und Gottesfurcht – hinweist. Jetzt im zweiten Kapitel schliesst er diesen Teil ab mit den Worten „Legt also ab alle Bosheit, alle Falschheit und Heuchelei, allen Neid, alle Verleumdung“. Dies ist der logische Abschluss des Weges, den man als Glaubender zu Jesus hin gegangen ist. Keine Falschheit, keine Verstecken, Wahrhaftig sein.

Beginn eines neuen Daseins:

Aber diese Falschheit abzulegen ist nicht das Ende, es ist vielleicht das Ende einer Entwicklung zum Glauben hin, aber damit eigentlich erst der Anfang eines neuen, langen Weges. Wie wenn ein kind nach langer Entwicklung geboren wird und nach der Geburt tatsächlich erst am Anfang steht, genauso steht der Glaubende nach sei-ner Entscheidung für Christus am Anfang. Und genauso wie ein Baby zu Beginn spezieller Nahrung bedarf, um zu wachsen und zu gedeihen, genauso – sagt Petrus – bedarf der neue Christ der unverfälschten, geistigen Milch und muss zunehmen, um den Anfechtungen und Problemen seines neuen Lebens gewachsen zu sein, ge-nauso wie ein Mensch etwas auf den Rippen haben muss, um den schlechten Zeiten gewachsen zu sein. Nur fürchte ich, dass hier nichts gemeint ist, was sich in Kilo messen liesse.

Das Thema: der Stein:

Und mit dieser Ermahnung kommt Petrus auf sein eigentliches Thema in diesem Ab-schnitt, auf das Bild des Steins. Jesus ist der lebendige Stein, der von den Menchen verworfen wurde, aber bei Gott auserwählt und kostbar ist. Jesus ist der Eckstein und wer an ihn glaubt wird nicht zu Schanden werden. Und Jesus ist der Stein des Anstosses und ein Fels des Ärgernisses. Schliesslich sind wir selbst auch noch Steine, lebendige Steine, die ein geistliches Haus bauen. Also offensichtlich gefällt Petrus dieses Bild, das er mit Zitaten aus dem alten Testament geholt hat.

Eckstein bestimmt Ausrichtung:

Was ist denn nun so interessant an diesem Bild des Steins? Da ist zunächst der Eckstein. Ich kenne mich im Hausbau nicht so besonders aus und heutzutage wird ein solcher Eckstein möglicherweise nicht mehr die Bedeutung der früheren Zeiten haben, aber ich stelle mir das so vor, dass der Eckstein der erste Stein ist, den man von einem Haus legt und der damit die Ausrichtung und Qualität des Hauses we-sentlich mitbestimmt. Das Haus, das ist Sinnbild für die Gemeinde. Ein Gebilde, das nach innen Wärme, Geborgenheit und Heimat bietet und nach aussen Schutz vor Dunkelheit und schlechtem Wetter. Und Jesus ist derjenige, der die Ausrichtung und die Qualität der Gmeinde bestimmt.

Mangelnde Fachkenntnis:

Klar, dass ein solcher Eckstein auch von besonderer Qualität sein musste, ein be-sonders guter und makellose Stein. Ich kann mir vorstellen, dass die Bauleute der früheren Zeiten ein besonderes Ritual um die Auswahl des Ecksteins gemacht ha-ben. Da wurden viele verschiedene Steine geprüft, aber nur der Beste auserwählt. Klar dass es dabei ganz besonders auf die Fachkenntnis der Bauleute ankam, die diese Entscheidung allein nach ihrer Erfahrung treffen mussten. Genauso waren die geistlichen Führer Israels aufgerufen, nach den Zeichen Gottes Ausschau zu halten. Es war ihre Aufgabe, die richtigen Propheten und Gesandten Gottes zu erkennen und insbesondere auch, den Messias zu identifizieren, auf den alle Israelis warteten. Dafür mussten sie die Menschen und ihre Taten besonders prüfen und eine Ent-scheidung fällen, die sich allein auf ihre Fachkenntnis, auf ihre Beziehung zu Gott berufen konnte. Und genau in diesem Punkt haben die Führer Israels versagt. Ihre angebliche Fachkenntnis war nicht sehr weitreichend.

Ermutigung: die Juden irren:

Dies schreibt Petrus als Ermutigung für die Gemeinden. Der Hintergrund waren die vermutlichen Angriffe auf die jungen christlichen Gemeinden aus der jüdischen Füh-rung hinaus. Petrus tröstet damit, indem er betont, dass diese Menschen ihrer ei-gentlichen Aufgabe damit gar nicht gerecht werden. Die, die von sich behaupten, geistliche Führer zu sein und den Weg Gottes genau zu kennen, die irren gewaltig. Im letzten Abschnitt geht petrus sogar soweit zu segen, dass wir, die Christen, das neue auserwählte Volk sind, sozusagen die Nachgeborenen, die gegen alle Erwar-tung jetzt zum Erben geworden sind. Es ist dabei wichtig zu bemerken, dass er das nicht so formuliert, dass wir den erbanspruch der Juden ersetzen, sondern dass wir quasi ergänzend ein neues auserwähltes Geschlecht geworden sind.

Heute: wo irren wir:

Damals war das ein guter Weg, um die Gemeinden aufzubauen und um ihnen das Gefühl zu geben, wir sind doch wer. Heute nach 2000 Jahren christlicher Geschichte, helfen diese Worte nicht mehr. Wir haben keinerlei Gründe mehr, uns daran aufzu-bauen, dass die jüdische Führung Fehler macht, gewaltige Fehler bis heute. Heute ist es eher wesentlich geworden, sich an die eigene Nase zu packen und sich zu fra-gen, wo wir denn Gesandte Gottes missachten und den Weg Gottes in eigener Blindheit nicht erkennen. Aber die Machtverhältnisse haben sich im Laufe der Zeit ja auch gewaltig geändert.

Wir bestimmen ob Mief oder nicht:

Doch zurück zum Bild des Steins. Jesus ist dieser kostbare Eckstein und indem man ihn zur Grundlage seines Lebens und seiner Gemeinde macht, kann man ein gutes und hochwertiges Haus bauen. Und wir sind Teil davon als die lebendigen Steine. Und das Haus ist so gut und erfüllt so weit seinen Zweck, wie die Steine es mittra-gen. Passen die Steine nicht und ist die Verbindung zwischen ihnen nicht gut, dann gibt es Löcher, durch die der Wind pfeift oder Lücken, in denen die Feuchtigkeit ein-sickert und das Wachstum von Schimmel und Mief ermöglichen. Eine solche unge-mütliche und muffige Gemeinde wird dann sehr schnell zu einem Ort, wo sich keine Menschen mehr wohlfühlen und wo die Leute einfach wegbleiben.

Gemeinde muss richtig gebaut sein:

Aber es ist auch wichtig, an den richtigen Stellen Öffnungen zu lassen, so dass Men-schen eintreten können und das Licht von aussen eindringen kann. So ein Haus muss eben richtig gebaut sein. Und damit tragen wir als deren Steine grosse Ver-antwortung, denn es liegt an uns, ob die Gemeinde ein Ort ist, an dem man sich zu Hause fühlt oder nicht.

Petrus: geistlicher Tempel ist wichtiger:

All das gilt mit Sicherheit heute und Petrus mag dieses im Hinterkopf gehabt haben, als er das Bild der lebendigen Steine gebrauchte, die ein geistliches Haus bauen und die geistliche Opfer darbringen. Aber es mag auch den ganz profanen Grund gehabt haben, dass den damaligen Christen von den Juden der Zugang zu Tempel, Syn-agoge und Opferplatz verweigert wurde. Für die Heidenchristen war dies vermutlich kein so grosses Problem, aber die Judenchristen haben darunter bestimmt sehr ge-litten und haben sich gefragt, wie sie denn zum Heil kommen könnten, wenn sie die von Gott vorgeschriebenen Rituale nicht mehr durchführen können. Und Petrus Aus-sage lautet ganz einfach, dass es nicht nötig ist, in die Synagoge zu gehen und dort Opfer zu bringen, wenn wir in Christus eine geistliche Synagoge bauen und ihm geistliche Opfer bringen. Und damit geht er ganz auf einer Linie mit den Propheten des alten Testamentes, die wiederholt betonen, dass es Gott nicht an irgendwelchen Ritualen gelegen ist, sondern an dem reinen Herzen, der Zuwendung zu ihm und dem Tun der Werke, die als Ausdruck der Liebe in wesentlicher Teil unseres Lebens sein sollen.

Stein des Anstosses auch heute:

Der dritte Aspekt in Bezug auf das Bild Steine ist der Stein des Anstosses. Jesus ist für die, die nicht an ihn glauben, ein Ärgerniss, ein Anstoss, ein Grund sich aufzuleh-nen. Das war damals so und das ist auch heute noch so. Ich habe immer wieder er-lebt, dass Menschen, die fest daran glauben, dass jeder nach seiner eigenen Facon glücklich werden soll, in höchste Rage kommen, wenn man ihnen erzählt, dass nur Jesus der Weg zur Rettung ist. Schon die Andeutung von eventuell missionarischen Anwandlungen können solche Menschen aufs Höchste aggressiv werden lassen.

Warum ist das so:

Warum ist das so frage ich mich in solchen Situationen? Ich kann diese Frage nicht wirklich beantworten, vielleicht ist es die Angst, dass es Gott tatsächlich geben könnte, vielleicht ist es der Anspruch, mit dem Christen hier auftreten, aber vielleicht sind dies auch einfach Erfahrungen aus der Kindheit mit Ansprüchen z.B. der Eltern in ganz anderen Zusammenhängen, die damals absolut klangen und wo der Heranwachsende später feststellte, dass es tatsächlich eine freie Auswahl gibt. Fragt man man die so Reagierenden selbst, so kommt im Allgemeinen eine eher nichtssagende Antwort wie „das nervt mich“ oder „mich regt Dein Absolutheitsanspruch auf“. Tatsache bleibt, dass Jesus auch heute ein Stein des Anstosses ist und wir damit rechnen müssen, Gegenwind zu erfahren, wenn wir uns offen als Christen bekennen oder gar werbend für Christus auftreten.

Sie sind dazu bestimmt:

In diesem Zusammenhang mit dem Bild des Stein des Anstosses macht Petrus aller-dings eine Bemerkung, die mich sehr nachdenklich gestimmt hat. In Vers 7 und 8 sagt er: „Für Euch, die ihr glaubt, ist er kostbar, für die Ungläubigen aber ist „der Stein den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist“ ein Stein des Anstosses und ein Fels des Ärgernisses, sie stossen sich an ihm, weil sie nicht das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind."“Warum drückt Petrus hier so selbstsicher aus, dass die Menschen, die Jesus verwerfen, dazu bestimmt worden sind. Von wem? Warum?

Die Bibel redet von Vorherbestimmung:

Eine solche Bemerkung löst bei mir eine ganze Kette von Assoziationen und Gedan-ken aus. Da ist zunächst einmal das Problem, dass von Gott gesagt wird, dass er alles im Voraus bestimmt hat und dass alles Geschehen schon seid Anbeginn der Zeiten feststeht. Auch die Bibel drückt sich in dieser Weise aus, hier im Petrusbrief zum Beispiel oder in Psalm 139 „Deine Augen sahen, wie ich entstand, in Deinem Buch war schon alles verzeichnet, meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war“. Offensichtlich fand Petrus diesen Gedanken sehr positiv, ich komme damit so nicht zurecht. Dann hätten all die Kritiker recht, die Gott einen grausamen Gott nennen, weil er einfach Menschen zum Untergang bestimmt, ohne, dass diese etwas dagegen machen könnten. Dann bräuchte ich mir keine Gedanken ma-chen über mein Verhalten, denn das, was ich mache ist ja eh vorherbestimmt. Und Mission ist dann auch sinnlos, denn wie kann man Menschen umstimmen, wenn diese dazu bestimmt sind, in ihrer Abwehrhaltung zu verharren.

Hier: Selbstschutz von Petrus:

Eine solche Bemerkung, wie Petrus sie hier macht, nennt man Fatalismus, es ist das eher resignierende Hinnehmen von Tatsachen, die man nicht zu ändern vermag. Meiner Meinung nach reagiert Petrus hier eher als Selbstschutz so, als dass er ver-suchen würde, eine komplizierte philosophische Fragestellung zum Ausdruck zu bringen. Petrus und auch die von ihm angeschriebenen Gemeinden haben es immer wieder erlebt, dass Menschen die gute Nachricht begeistert aufgenommen haben, aber genauso haben sie erlebt, wie Menschen sich immer wieder permanent gegen diese Botschaften gewehrt haben. Der natürliche Gedanken dabei ist, was habe ich falsch gemacht, was kann ich denn tun, um auch diese Menschen zu überzeugen. Und Petrus ist wohl zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass ab einem bestimmten Punkt sich einfach nichts mehr tun lässt. Gleichzeitig weiss er aber um die Macht Gottes und wie leicht er diese einsetzen könnte, um die Menschen zwangsweise zu bekehren. Das tut Gott aber nicht, ergo muss er wollen, dass die ablehnenden Men-schen in der Verdammnis verbleiben, ergo ist ihre ablehnende Haltung vorherbestimmt.

Ich: freie Entscheidung:

So interpretiere ich diese kleine Bemerkung von Petrus, aber folgen kann ich ihr in dieser Weise nicht. Die Idee, dass der Mensch als Ebenbild Gottes einen freien Ent-scheidungsraum besitzt und innerhalb dieses Raumes auch Entscheidungen treffen kann, die gegen den Willen Gottes sind, diese Idee bestimmt viel mehr mein Denken. Mit dieser Idee ist es eben nicht vorherbestimmt, welche Wahl ein Mensch trifft und wenn er eine Wahl gegen Gott trifft, dann akzeptiert Gott dies durchaus, auch wenn er nicht einfach seine Bemühungen einstellt. In meiner eigenen Geschichte kann ich mich an mehrere Punkte erinnern, an denen ich zu Gott hätte kommen können. Ich habe aber viele dieser Gelegenheiten verstreichen lassen und erst relativ spät hat mich Gott mit seiner Liebe doch noch überwältigen können. Gott will eben keine er-zwungenen Bekenntnisse, sondern solche, die aus tiefsten Herzen und aus eigener Überzeugung getroffen werden.

Hat die Bibel unrecht:

Heisst das nun, dass Petrus und die Bibel in diesem Punkt unrecht haben, denn es scheint ja nur die Wahl zu geben, dass etwas entweder vorherbestimmt ist oder nicht. Glücklicherweise gibt es einen Weg, der zeigt, wie beides gleichzeitig zutreffen kann, die Dinge sind vorherbestimmt, aber sie sind doch nicht vorbestimmt. Ein Beispiel in diese Richtung nennt Jesus in Mt, 26, 24 beim heiligen Abendmahl. Er sagt: „Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt, doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird, für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre?“ Was Jesus hier ausdrückt ist, dass der Verrat und die Kreuzigung Jesu vorherbestimmt waren, dies musste geschehen. Doch wer den Verrat verübt, das war nicht vorherbestimmt, Judas hatte durchaus eine Wahl. Er hätte loyal zu Jesus bleiben können. Das hätte nichts daran geändert, dass Jesus verraten und gekreuzigt worden wäre, aber Judas hätte einen anderen Weg genommen.

Unterstützung aus der Physik: Atome:

Dafür, dass eine solche Interpretation nicht einfach nur an den Haaren herbeigezo-gen ist, dafür gibt es von einer ganz unerwarteten Richtung Unterstützung – aus der Physik. Ich bin ja Physiker und kenn mich daher ein wenig aus und deswegen möchte ich Euch gerne mit diesem Sachverhalt ein wenig vertraut machen. Was mich in der Physik am meisten fasziniert hat, waren die Phänomene der Quanten-physik, das sind die Dinge, die sich im allerkleinsten abspielen also in den Atomen und Atomkernen. Und dort gibt es das Phänomen, dass man zwar ganz hervorra-gend vorhersagen kann, was passiert, wenn sehr viele von diesen Atomen zusam-men sind, aber keine Ahnung hat, was passiert, wenn man nur ein einzelnes Atom vor sich hat. Ein Beispiel in diese Richtung ist der radioaktive Zerfall. Wenn man – sagen wir – ein Kilo eines radioaktiven Stoffes vor sich hat, dann kann man sehr genau bestimmen, welcher Anteil dieser Menge in der nächsten Zeit radioaktiv zerfallen wird. Hat man aber nur ein einziges Atom desselben Stoffes vor sich – und das ist technisch heutzutage möglich – dann hat man keinerlei Ahnung und keinerlei Mög-lichkeiten, vorherzusagen, wann dieses Atom zerfallen wird.

Gott legt sich nicht fest:

Diese Unfähigkeit der Physiker, eine solche Vorhersage zu treffen, hat man seit Jahrzehnten, seit der Entdeckung dieses Phänomens, der menschlichen Unzuläng-lichkeit zugeschrieben. In den letzten zwanzig Jahren aber sind Experimente möglich geworden, die es erlauben zwischen der Situation der Unzulänglichkeit – also ich weiss das nicht, weil ich nicht genug weiss – und der Situation des prinzipiellen nicht-Wissen-Könnens zu unterscheiden. Und alle diese Experimente weisen darauf hin, dass wir ganz prinzipiell diese Vorhersagen nicht treffen können, egal wieviel wir noch über die Natur lernen werden. Diese merkwürdige Situation ist ganz einfach zu verstehen, wenn wir aussagen, dass das Universum selbst sich noch nicht festgelegt hat, was passieren wird. Und als Christ lese ich diese Aussage dahin, dass Gott sich noch nicht festgelegt hat.

Wir haben den Freiraum:

Nun weiss aber jeder von uns, dass es durchaus sehr viele Situationen gibt, in denen wir sehr gute Vorhersagen machen können, aber dies gilt eben nicht für alles. Es existieren sehr viele Vorgänge, deren Ergebnis prinzipiell nicht vorhersagbar ist und es sieht so aus, als hätte Gott selbst diese Beschränkung eingeführt. Und auf diese Weise sind eben beide Seiten miteinander vereinbar. Wir können uns auf der einen Seite in den sicheren und bergenden Händen Gottes wissen, der alle Geschehnisse im Universum unter Kontrolle hat, aber gleichzeitig haben wir einen Freiraum, in dem wir uns als Individuen nach eigenem Willen bewegen können. In diesem Freiraum begegnet uns Gott nicht als übermächtiger Herrscher, sondern als gleichberechtigter, liebender Vater.

Wir sollen einladen, nicht erzwingen:

Auf diese Weise würde mein Trost heute aussehen, wenn wir als Gemeinde darunter leiden, dass Menschen unserem Glauben ablehnend und feindlich gegenübertreten. Nicht das resignierende „es ist vorherbestimmt“ sollte unser Denken heute bestim-men, sondern das hoffnungsvolle „er hat die freie Wahl, man muss ihm das nur klar-machen“ verbunden mit dem Gedanken „Gott selbst will diesen Menschen zu nichts zwingen, also ist es auch nicht meine Aufgabe, ihn zu irgendetwas zu zwingen. Mei-ne Aufgabe ist es, einzuladen.“ Und diese Einladung schliesst es mit ein, dass die Menschen die Möglichkeit haben „nein“ zu sagen. Wir müssen dann über unseren Schatten springen, diese Antwort akzeptieren und den Menschen, der dahinter steht, trotzdem lieben. Wir wissen es nicht, aber vielleicht hat Gott mit diesem Menschen ja doch noch etwas vor.

Amen