Predigt So, 29.10.2006

Einleitung:

Eines der spannendsten Gebiete der Naturwissenschaft heutzutage ist das Gebiet der Gehirnforschung. Durch immer genauere Meßmethoden und immer ausgeklügeltere Experimente gelingt es zusehends, die Prozesse im Gehirn aufzudecken, die vor sich gehen, wenn der Mensch denkt, fühlt, wenn er betet, Visionen hat oder wenn er sich ärgert und wütend ist, mit anderen Worten: man kann immer besser dem Menschen beim Denken zuschauen. Die Ergebnisse, die dabei ans Tageslicht kommen, haben nachhaltige Auswirkungen auf die Vorstellungen, die wir uns zu den Themen, Geist, Seele und Willensfreiheit machen. So ist vor wenigen Monaten die Aussage eines führenden Gehirnforschers durch die Presse gegangen, der gesagt hat, dass man den Begriff Schuld im Zusammenhang mit Verbrechen abschaffen müsse. Menschen, die sich gegen die Gesetze der Gesellschaft vergehen, die Kinder mißbrauchen oder Menschen umbringen oder so etwas, die können gar nichts dafür, denn die Vorgänge in ihrem Gehirn zwingen sie zu solchen Taten.

Wie sind solche Aussagen zu bewerten? Christen fühlen sich bei diesen Forderungen, die Schuldfrage abzuschaffen, sehr betroffen, denn auf der Schuld der Menschen beruht fast unser ganzes Sündenverständnis und damit die Bedeutung von Jesus Christus. Ist das also alles nur Gefasel eines gottlosen Naturwissenschaftlers, der sich lediglich bemüht, von seiner eigenen Schuld abzulenken? Ist das wieder einmal der Beweis, dass aus der Naturwissenschaft nichts Gutes kommen kann, weil sich der Mensch dort von Gott abwendet?

Nun, unser heutiger Predigttext kann Licht in diese Fragen bringen. Er beschäftigt sich genau mit der Frage nach Sünde und Schuld und steht im Brief des Paulus an die Römer, Kapitel 7, die Verse 14 bis 25a.

Der Predigttext, Röm. 7, 14-25a

Wir wissen, dass das Gesetz selbst vom Geist bestimmt ist, ich aber bin Fleisch, das heisst verkauft an die Sünde. Denn ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, erkenne ich an, dass das Gesetz gut ist.

Dann aber bin nicht mehr ich es, der handelt, sondern die in mir wohnende Sünde. Ich weiß, dass in mir, das heisst in meinem Fleisch, Nichts Gutes wohnt, das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde.

Ich stoße also auf das Gesetz, dass in mir das Böse vorhanden ist, obwohl ich das Gute will. Denn in meinem Inneren freue ich mich an dem Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangen hält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden. Ich unglücklicher Mensch. Wer wird mich aus diesem, dem Tod verfallenen Leib erretten? Dank sei Gott, durch Jesus Christus unseren Herrn.

Der Hintergrund

Hier schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom, eine Gemeinde, die er nicht kennt und die er nicht gegründet hat. Er hatte aber die Absicht, sie zu besuchen und tut dies schliesslich auch, wie am Ende der Apostelgeschichte berichtet wird. Vorher aber, vermutlich in Gefangenschaft wartend, in der Zeit vor seiner Deportation nach Rom, schreibt er diesen Brief. Er nutzt ihn, um seine grundsätzliche Theologie darzulegen und damit geistlich seine Ankunft vorzubereiten.

Die Gemeinde in Rom bestand aus Heidenchristen und aus Judenchristen, also letztere aus Menschen, die in der jüdischen Tradition gelehrt und unterwiesen waren. Der Römerbrief richtet sich an beide Teile der Gemeinde, wobei sich aber die ersten 8 Kapitel in erster Linie an die Judenchristen wendet. Hier führt Paulus die Beziehung zwischen Gesetz und Sünde über mehrere Kapitel ausführlich aus. Es geht ihm darum, den Judenchristen zu vermitteln, worin die Probleme der gesetzesorientierten Denk- und Lebensart der jüdischen Tradition liegen und warum es nötig war, dass Jesus Christus kommen und sterben musste. Das jüdische Verständnis war relativ klar, es gab das Gesetz, das von Gott gegeben war und zu dessen Befolgung die Menschen verpflichtet sind. Wer das Gesetz hält, der wurde von Gott gerettet, wer es nicht hält, wird dafür bestraft. Der Weg zum Heil war also das Befolgen der Gebote.

Der ursprüngliche Plan

In den Kapiteln vor unserem Predigttext bemüht sich Paulus klarzumachen, dass dies vielleicht die Absicht Gottes war, dass das aber nicht nur nicht geklappt hat, es konnte auch gar nicht klappen. Seine zentrale Aussage gipfelt darin zu sagen, dass erst durch das Gesetz die Sünde überhaupt Macht bekommen hat. Wie kann das passieren, wie ist es möglich, dass etwas, was gut und richtig ist und als guter und richtiger Leitfaden für die Menschen gedacht war, das Böse, die Verdamnis überhaupt erst hervorbringt?

Paulus argumentiert mit etwas, was uns intuitiv gerecht erscheint. Paulus sagt: Wenn ich nichts davon weiß, dass etwas verboten ist, wenn es mir niemand sagt, dann kann ich auch nicht bestraft werden, wenn ich das Verbot übertrete. Das ist nur gerecht. Die Ausführungen von Paulus gipfeln in dem Spruch "Ich wusste nichts von der Begierde, bis das Gesetz kam und mir sagte, du sollst nicht begehren."

Nun ist das Gesetz aber da, ich bekomme es erklärt und ich bekomme Dinge geboten und verboten. Und was passiert? Halte ich mich an das Gesetz? Nein, das tue ich nicht und die Menschen zu allen Zeiten haben sich nicht daran gehalten. Und weil das Gesetz da ist und weil ich es nicht befolge, darum falle ich unter den Schuldspruch des Gesetzes und dieser Schuldspruch ist der ewige Tod, der darin besteht, dass ich von Gott getrennt bin, die Beziehung zu ihm verliere und überhaupt nicht mehr merke, dass ich seine Wege schon längst verlassen habe.

Und damit ist der ursprüngliche Plan gescheitert. Um den Menschen die Wege Gottes zu zeigen wurde ihnen das Gesetz gegeben. Doch statt fröhlich den Wegen Gottes zu folgen, statt das zu tun, was Gott von uns wünscht, wenden sich die Regeln gegen uns. Das Gesetz macht klar, wie weit wir von Gottes Anspruch weg sind.

Die Unfähigkeit der Menschen

Wenn wir so über die Situation reden, dann gehen wir von einer zentralen Annahme aus. Wir nehmen an, dass das Gesetz uns sagt, wie wir uns verhalten sollen und dass wir dies tun können oder nicht, mit anderen Worten, wir nehmen an, dass wir uns frei entscheiden können, Gott zu folgen oder nicht. Wenn wir die freie Entscheidung haben, dann haben wir es selbst in der Hand, ob wir den Weg zu Gott finden oder ob wir uns von Gott abwenden.

Wenn dem so wäre, dann wäre das Gesetz alles, was wir bräuchten. Denn die, die es nicht befolgen, tun dies dann ja aus eigenem Antrieb und haben daher die Gottesferne selbst gewählt. Damit wäre es gerecht, wenn Gott sich von ihnen abwendet und sie der Verdamnis überlässt. So war das Denken der jüdischen Tradition, solches Denken kommt auch heute noch aus vielen, auch christlichen Veröffentlichungen heraus. Die, die verloren gehen, sind selbst schuld daran, das ist die Aussage, die ich immer wieder finde.

Doch jetzt kommt unser Predigttext. Was sagt Paulus hierzu? Seine Aussage ist klar: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. Und danach noch einmal Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will. Mit anderen Worten, Paulus, der von Gott besessene Pharisäer und Eiferer für Gott, der der das Gesetz nicht nur in und auswendig kennt, nein, der, der sich mit aller seiner Macht für das Gesetz einsetzt, dieser Paulus schafft es nicht, dieses Gesetz, was er so sehr liebt, zu befolgen. Nach den Buchstaben des Gesetzes ist Paulus damit verloren. Und genau das erkennt er auch und klagt Wer wird mich aus diesem, dem Tod verfallenen Leib erretten?

Und damit komme ich zurück zu der Nachricht, die ich Eingangs erwähnt habe. Dieser Gehirnforscher hat festgestellt, dass es mit der freien Entscheidung des Menschen gar nicht so weit her ist. Er hat festgestellt, dass Menschen zum Bösen getrieben werden, weil Reaktionsketten in ihrem Gehirn mit hoher Wahrscheinlichkeit diese bösen Handlungen hervorrufen. Er meint, damit eine große Neuigkeit entdeckt zu haben und damit auch den Begriff der Schuld abschaffen zu können. Doch so groß ist diese Neuigkeit gar nicht. Vor 2000 Jahren hat Paulus dasselbe festgestellt, ohne ein ausgebildeter Forscher in Gehirnchemie zu sein. Wir tun das Böse, weil wir gar nicht anders können, wir tun das Böse, obwohl wir das eigentlich gar nicht wollen.

Woher kommt das?

An diese Feststellung knüpfen sich gleich mehrere sehr tiefgehende Fragen. Die erste wäre, woher das kommt, dass wir das Gute, das wir wollen, nicht tun. Paulus begründet dies in unserem Predigttext mit einem dualistischen Denken, wie dies für die griechische Philosophie typisch war. Er macht dies an den Begriffen Geist und Leib fest. Sein Geist ist in der Verbindung mit Gott, der Geist erkennt, was gut und was falsch ist und freut sich an den Geboten, die wir von Gott bekommen haben. Der Leib aber ist von der Sünde besetzt, in ihm wohnt nichts Gutes, in ihm ist die Sünde zu Hause und diese führt die bösen Taten aus. Es herrscht ein regelrechter Krieg zwischen dem Gesetz der Vernunft und dem Gesetz der Glieder, die miteinander im Widerstreit liegen.

Was Paulus sagt ist nicht falsch und liegt auf einer Linie mit dem, was in neuerer Zeit in der Gehirnforschung ans Licht gebracht wurde. Menschen, die sich nicht der Norm nach Verhalten, die besonders aggressiv sind oder besonders egoistisch, die ihren Sexualtrieb nicht unter Kontrolle haben usw., bei denen kann man oft Abweichungen feststellen, die im Gehirn vor sich gehen. Da sind die Werte verschiedener Neurotransmitter aus dem Lot, da aktivieren sich Gehirnzentren nicht, die z.B. für das Mitfühlen verantwortlich sind oder es aktivieren Gehirnzentren, die bei normalen Menschen still bleiben. Gerade aggressive Handlungen unterliegen eigenen Reaktionsketten, die schon in Gang gesetzt werden, bevor dem Menschen überhaupt bewusst ist, dass er wütend ist.

Ich glaube aber, dass sowohl die streng dualistische Argumentation des Paulus als auch die Ergebnisse der Gehirnforschung ihre Schwächen haben. Bei der Gehirnforschung liegt die Schwäche eindeutig darin, dass es bis heute nicht möglich ist, so etwas wie einen Geist zu definieren, geschweige denn überhaupt zu messen. Wenn die Gehirnmechanismen so sind, wie wir feststellen können, welche Rolle spielt dabei der Geist? Welche Rolle spielt der Wille eines Menschen, wenn Reaktionsketten im Gehirn in Gang gebracht werden? Hat nicht auch ein Mensch mit gestörter Gehirnchemie eine sehr große Bandbreite von dem, was er tut oder nicht tut?

Und auch die dualistische Argumentation des Paulus ist zu stark, wenn man sie isoliert betrachtet. Es mag sein, dass Paulus sich am Gesetz freut und nur sein sündiger Leib ihn zum Bösen getrieben hat, aber ich kenne es von mir selbst und von den Aussagen vieler Menschen, dass sie letztendlich auch gar keinen Willen gehabt haben, dem Bösen zu widerstehen. Der Geist ist eben nicht immer willig, oft genug geben wir im Geist nach und wünschen uns genau das, was wir nicht sollen. Dies ist auch in Übereinstimmung mit den Aussagen von Jesus, der gesagt hat, dass das Böse im Inneren beginnt, im Begehren, im nicht-dem-Bösen-Widerstand-leisten. Das Gefäß ist im Inneren unrein, der Ehebruch beginnt mit der Vorstellung, mit einem anderen als den Partner intim zu werden usw.. Schon die Jünger haben daraufhin geklagt "Wer soll dann noch gerecht sein können"? Und Jesus hat darauf erwidert, dass das, was bei den Menschen unmöglich ist, bei Gott möglich ist.

Ich denke, dass das Paulus auch so gesehen hat, andere Stellen weisen darauf hin, dass die starke Trennung von Geist und Leib nicht so extrem gemeint war, wie sich das in unserem isolierten Textabschnitt hier anhört. Paulus hat selbst lange Mahnungen geschrieben, was ein Christ tun oder nicht tun sollte. Paulus selbst ist also keineswegs der Meinung, dass wir dem Böses-tun hilflos ausgeliefert sind.

Was können wir tun?

Das bedeutet, dass es diese Reaktionsketten zum Bösen zwar gibt, dass wir aber sehr wohl auch einen Einfluß auf unser Handeln haben. Wir können lernen, das Böse zu meiden, aber um das zu lernen, müssen wir es auch lernen wollen. Das ist anstrengend, oft mühsam und mit Rückschlägen verbunden, aber es geht. Auch ein Choleriker, der oft unkontrolliert in Zorn ausbricht kann lernen, seinen Zorn zu zügeln, auch ein Mensch, der aggressiv ist, kann lernen, seine Aggressionen zu kontrollieren.

Das klappt nicht unbedingt von alleine, manchmal brauchen wir professionelle Hilfe, um das zu erreichen und manchmal können uns die Erkenntnisse über Hirnchemie auch helfen, auf chemischen Weg zu unterstützen, indem wir Medikamente einnehmen, aber all das kann nur dann erfolgreich sein, wenn der Betroffene dies auch will. Wir sind nicht Marionetten unseres Leibes, wir haben einen Willen, mit dem wir die Kontrolle über unsere Handlungen wiedergewinnen können.

Zurück zur Unfähigkeit

Heisst das nun, dass Paulus in unserem Bibeltext Unrecht hat? Heisst das nun, dass wir doch in der Lage sind, vollständig nach dem Gesetz zu leben? Nein das heisst es nicht. Denn das ist ja nur eine von zwei möglichen Extremsituationen. Auf der einen Seite die Annahme bei den Juden, dass es möglich ist, dass gesamte Gesetz zu erfüllen und auf der anderen Seite die Annahme jenes Gehirnforschers, dass wir Marionetten unserer Gehirnchemie sind.

Beides ist falsch. Paulus erteilt den Gesetzestreuen eine Abfuhr. Er sagt nicht, dass man nicht in der Lage ist, hauptsächlich Gutes zu tun, er sagt nicht, dass sein Geist, der sich am Gesetz ja erfreut, nicht auch oft gewinnt. Auch Jesus bezeichnet die jüdischen Pharisäer, die er selbst so oft kritisiert hat, als "Gerechte". Aber die Meinung, dass man daraus schliessen kann, dass man alle Forderungen Gottes nach Liebe und Gerechtigkeit erfüllen kann, diese Annahme trifft eben nicht zu. In jedem Leben, egal ob bei mir, bei Dir oder bei Paulus, gehen Dinge schief, mache ich das Falsche, gerate ich in Widerspruch zu Gott. Genau das hat Paulus auch festgestellt und genau deshalb klagt er "Ich verstehe mich selber nicht. Das Gute, das ich will, tue ich nicht"

Eine Frage der Schuld

Doch damit geraten wir in eine Situation der Verwirrung. Wir als Menschen möchten gerne wissen, wie unser Tun beurteilt wird. Gott ist gerecht und daher versuchen wir, nach dem Empfinden unserer Gerechtigkeit vorzugehen.

Ist es eine unpersönliche Sünde, die in meinem Leib wohnt und die bösen Handlungen begeht, dann kann ja ich nicht bestraft werden, denn ich kann ja nichts dafür. Und sind das naturgesetzliche Reaktionen in meiner Gehirnchemie, dann habe ich ja keine Schuld, denn die Natur selbst zwingt mich doch zum Bösen. Wie kann ein guter, gerechter Gott in dieser Situation dann noch sagen "Du bist verloren"?

Aber ich habe ja auch gesagt, dass der Geist gewinnen kann. Wenn ich meinen Willen dazu bringe, den Leib zu besiegen, wenn ich darauf trainiere, die Reaktionsketten im Gehirn zu unterbrechen und in andere Bahnen zu führen, dann kann ich das Böse meiden. Wenn ich aber das Böse gar nicht meiden will, sondern Freude an dem Bösen habe und mich bewusst von Gottes Weg abwende, dann wäre der Schuldspruch gerecht und die Aussage "Du bist verloren" konsequent.

Also wie ist das nun. Sind wir schuldig, weil wir uns nicht genug anstrengen oder unschuldig, weil wir in eine Welt der Sünde hineingeboren wurden und keine andere Wahl haben? Der Gehirnforscher hat sich klar auf die Seite der zweiten Möglichkeit geschlagen als er forderte, den Begriff der Schuld abzuschaffen. Doch Paulus argumentiert anders. Er sagt "Wenn das, was ich will, das Gute ist, wenn das, was ich will, dem Gebot Gottes entspricht, dann sage ich doch nichts anderes, als dass Gottes Gebot gut und richtig ist. Dadurch, dass ich sage, wenn ich Böses tue "das habe ich gar nicht gewollt", dadurch gebe ich zu, dass ich das Gebot kannte und dass ich es gutgeheissen habe. Also ist das Gebot, was von Gott kommt, gut und richtig.

Das gerechte Gesetz

Paulus kommt also zu einem ganz anderen Schluß als der Gehirnforscher. Paulus stellt fest, dass er an dem Bösen nicht vorbeikommt. Aber dass er deswegen weniger schuldig ist, das sieht Paulus nicht so. Gottes Gesetz ist gut, ich erkenne es dadurch an, dass ich es gut finde und damit stelle ich selbst fest, dass ich das Böse tue. Und damit wiederum verurteile ich mich selbst. Und das wiederum lässt Paulus klagen "Wer wird mich aus diesem, dem Tode verfallenen Leib erretten"?

Es ist Jesus, der uns aus dieser Zwickmühle retten kann. Der jüdische Weg des Gesetzes ist nicht begehbar, wir alle können ihn nicht zu Ende gehen. Manche kommen ein Stück weit, andere scheitern schon am Ansatz. Aber der Weg unseres Gehirnforschers, die Schuld abzuschaffen, ist auch nicht gangbar, denn Gottes Forderung steht ja. Wir kennen die Gesetze, wir erkennen sie auch als gut an. Damit ist klar, dass wir das nicht-Gute tun. Dies zu ignorieren wäre töricht.

Genau deswegen ist Jesus gekommen. Er kann uns die Schuld abnehmen, die wir unvermeidlich auf uns laden. Sein Tod hat unsere Strafe übernommen. Genau auf diese Aussage hin zielt die Argumentation des Paulus.

Was heisst das für uns, heute?

Doch so zu denken ist uns heutzutage fremd und es fällt schwer, dies uns selbst oder gar Aussenstehenden zu vermitteln. Wir stehen doch auch hilflos vor der Aussage "Wir können gar nicht anders und sind deshalb nicht schuld". Der Mechanismus, für uns selbst eine Ausrede zu suchen nach dem Motto "ich bin doch auch nur ein Mensch", greift ja auch bei uns, wie viel mehr bei Menschen, die gar nicht einsehen wollen, dass sie Schuld auf sich laden, wenn sie lieblos und egoistisch handeln.

Der Weg, den viele Christen und christliche Gemeinschaften gehen, indem sie Gebetsmühlenartig die Formel "Christus hat uns von unserer Schuld befreit" wiederholen, wirkt deshalb heutzutage kaum noch. Es ist ein gesellschaftliches Kommunikationsproblem entstanden, wo die Menschen mit dem Begriff der Schuld nichts mehr anfangen können und deshalb auch zunehmend mit Christus dem Erlöser nichts mehr anfangen können. Wie soll man Menschen erlösen, die gar nicht einsehen, dass sie der Erlösung bedürfen.

Es ist daher nicht nur an der Zeit, es ist notwendig, dass wir unsere Worte so wählen, dass die Menschen von heute verstehen, was wir sagen sollen. Aber der Inhalt des Evangeliums soll dabei nicht angerührt werden. Und genau hier steckt die Schwierigkeit. Wir orientieren uns an den alten Formeln, weil wir Angst haben, den Inhalt zu verfälschen, wenn wir andere Worte wählen. Und schon stecken wir wieder in der Schuldzwickmühle. Wir werden schuldig, wenn wir unseren Mitmenschen die Botschaft nicht vermitteln, weil wir eine Sprache wählen, die sie nicht verstehen, und wir werden schuldig, wenn wir unsere Worte abwandeln und die Botschaft dabei verfälschen, die wir sagen sollen.

Wann werden wir endlich begreifen, dass wir der Schuld nicht entkommen können? Natürlich werden wir Schuld auf uns laden, je mehr, desto mehr wir versuchen sie zu vermeiden. Genau dafür brauchen wir Jesus und den heiligen Geist. Nur Jesus kann uns die Schuld wieder nehmen und nur der heilige Geist kann uns die richtigen Worte geben, wenn wir versuchen etwas zu beschreiben, was eigentlich unbeschreibbar ist.

Eine Möglichkeit, das Thema der Schuld auch Aussenstehenden nahe zu bringen, ist es, auf die Verantwortung aller hinzuweisen, wenn es um die Probleme unserer Gesellschaft geht. Die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft wächst, die Jugend leidet unter Perspektivlosigkeit, die Macht des Geldes regiert mit unbarmherziger Logik und zerstört Arbeitsplätze und Gemeinschaftsgefühl. Soziale Netze drohen zu zerreissen und Solidarität wird nur noch dann eingefordert, wenn man selbst einen Vorteil davon hat. Diese Probleme sieht jeder. Aber kaum einer erkennt, dass er selbst ein Teil des Problems ist. Wieder regiert das Suchen nach Ausreden in der Form "Ich kann ja nichts machen".

Und genau hier können Christen und die Gemeinschaft, die sie bilden, ein Gegenbeispiel sein. Wir sind durch Jesus in eine Gemeinschaft gebunden, wir sind zu selbstloser Liebe und zu Solidarität ohne Vorteilnahme aufgerufen. Immer wieder ermahnt uns die Bibel, genau das zu tun, wozu wir nicht hundertprozentig fähig sind. Wir sollen beständig und immer wieder Liebe üben, auch wenn wir wissen, dass wir dabei scheitern werden. Das Ansehen der Christen in der Welt leidet darunter, dass wir zu oft nachlassen in diesem Bemühen, dass wir zu oft die Mechanismen dieser Welt verwenden, an statt die Mechanismen Gottes.

Und wenn wir uns dabei in Schuld verstricken, dann geben wir diese bei Jesus ab, anstatt nach Ausreden zu suchen. Und genau das ist auch das auffälligste Zeugnis, das wir nach aussen geben können. Wir können offen und ehrlich unsere Schuld bekennen. Aber nicht nur in unverbindlichen, allgemeinen Formeln, sondern konkret in ganz konkreten Situationen. Wie zum Beispiel "Ja Herr, hier haben wir uns falsch verhalten, hier haben wir Zeit nicht geopfert, hier haben wir nicht zugehört, hier haben wir den stummen Hilferuf eines Mitmenschen nicht gehört, hier waren wir mutlos und müde. Ja Herr, hier haben wir Schuld auf uns geladen, weil wir gar nicht anders konnten. Vergib uns Herr." Dieses Schulkdbekenntnis ist etwas, was wir den Aussenstehenden voraus haben. Nutzen wir es. Amen.

Segen:

Mögest Du immer den Willen Gottes tun

Damit Du nicht wie ein unvorsichtiger Vogel bist, der sich im Netz verfängt

Nicht wie ein leck geschlagenes Schiff, das von jeder Gefahr bedroht wird

Nicht wie ein leeres Gefäß, nicht wie ein verdorrter Baum

Mögest Du immer den Willen Gottes tun

Dann bist Du wie ein Licht, das immer leuchtet

Wie ein Gefäß aus Silber voll mit Wein

Und der Weg Deines Lebens wird gesegnet sein

So segne Dich Gott im Namen Jesu Christi unseres Herrn

Amen