Predit Pfingstsonntag, 27.05.2007

Einleitung

Wer mich kennt, weiß, dass ich mich in meinen Predigten im allgemeinen an die Perikopenreihe halte und das werde ich auch an dem heutigen Pfingssonntag tun. Die Perikopenreihe bietet einen umfassenden Gang durch die Bibel und immer den für den jeweiligen Sonntag gedachten Text. So auch heute, am Pfingstsonntag einen Text, der mit dem heiligen Geist zu tun hat und das Thema Pfingsten beleuchtet. Doch manchmal gehen diejenigen, die die Perikopen auswählen, etwas zu weit in ihrer Konzentration auf das jeweilige Sonntagsthema.

Heute ist so ein Fall. Der Predigttext ist aus dem alten Testament genommen und besteht aus einer Auswahl von Versen, die praktisch aus dem Zusammenhang heraus genommen werden, um das Thema heiliger Geist zu betonen. Und auch wenn diese herausgenommenen Verse durchaus ein sehr interessantes Thema bieten, so bin ich doch kein Freund davon, den Textzusammenhang einer biblischen Stelle außer Acht zu lassen.

Deswegen werde ich heute praktisch zwei Predigten halten. Eine über die weichgespülten und handverlesenen Verse der Perikope und eine zweite über den Zusammenhang, in dem diese Verse stehen und die eine wesentlich härtere, eben alttestamentliche Kost zu bieten haben. Und vielleicht entdecken wir auf diesem Weg auch, was die weggelassenen Verse nun doch mit dem Thema Pfingsten zu tun haben.

Ich lese zunächst die für die Perikope ausgewählten Verse. Sie stehen im 4. Buch des Mose Kapitel 11, die Verse 11,12, 14-17, und 24 und 25

Predigttext 4. Mose 11, (4) -11-25 – (34)

(4)(a) Das fremde Volk aber unter ihnen war lüstern geworden. Da fingen auch die Israeliten wieder an zu weinen und sprachen: Wer wird uns Fleisch zu essen geben? (b) (5)Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, und an die Kürbisse, die Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch. (6)Nun aber ist unsere Seele matt, denn unsere Augen sehen nichts als das Manna. (7)Es war aber das (a) Manna wie Koriandersamen und anzusehen wie Bedolachharz. (8)Und das Volk lief hin und her und sammelte und zerrieb es mit Mühlen oder zerstieß es in Mörsern und kochte es in Töpfen und machte sich Kuchen daraus; und es hatte einen Geschmack wie Ölkuchen. (9)Und wenn bei Nacht der Tau über das Lager fiel, so fiel das Manna mit darauf. (10)Als nun Mose das Volk weinen hörte, alle Geschlechter miteinander, einen jeden in der Tür seines Zeltes, da entbrannte der Zorn des HERRN sehr. Und auch Mose verdroß es.

(11)Und Mose sprach zu dem HERRN: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, daß du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? (12)Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, daß du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast?

(13)Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben? Sie weinen vor mir und sprechen: Gib uns Fleisch zu essen.

(14)Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. (15)Willst du aber doch so mit mir tun, so (a) töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muß. (16)Und der HERR sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den (a) Ältesten Israels, von denen du weißt, daß sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, (17)so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen mußt.

(18)Und zum Volk sollst du sagen: (a) Heiligt euch für morgen, so sollt ihr Fleisch zu essen haben; denn euer Weinen ist vor die Ohren des HERRN gekommen, die ihr sprecht: »Wer gibt uns Fleisch zu essen? Denn es ging uns gut in Ägypten.« Darum wird euch der HERR Fleisch zu essen geben, (19)nicht nur einen Tag, nicht zwei, nicht fünf, nicht zehn, nicht zwanzig Tage lang, (20)sondern einen Monat lang, bis ihr's nicht mehr riechen könnt und es euch zum Ekel wird, weil ihr den HERRN verworfen habt, der unter euch ist, und weil ihr vor ihm geweint und gesagt habt: Warum sind wir aus Ägypten gegangen (21)Und Mose sprach: Sechshunderttausend Mann Fußvolk sind es, mit denen ich lebe, und du sprichst: Ich will ihnen Fleisch geben, daß sie einen Monat lang zu essen haben. (22)Kann man so viele Schafe und Rinder schlachten, daß es für sie genug sei? Oder kann man alle Fische des Meeres einfangen, daß es für sie genug sei? (23)Der HERR aber sprach zu Mose: Ist denn (a) die Hand des HERRN zu kurz? Aber du sollst jetzt sehen, ob sich dir mein Wort erfüllt oder nicht.

(24)Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. (25)Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.

(26)Es waren aber noch zwei Männer im Lager geblieben; der eine hieß Eldad, der andere Medad. Und der Geist kam über sie, denn sie waren auch aufgeschrieben, jedoch nicht hinausgegangen zu der Stiftshütte, und sie gerieten in Verzückung im Lager. (27)Da lief ein junger Mann hin und sagte es Mose und sprach: Eldad und Medad sind in Verzückung im Lager. (28)Da antwortete (a) Josua, der Sohn Nuns, der dem Mose diente von seiner Jugend an, und sprach: Mose, mein Herr, wehre ihnen! (29)Aber Mose sprach zu ihm: Eiferst du um meinetwillen? Wollte Gott, daß alle im Volk des HERRN Propheten wären und der HERR seinen Geist über sie kommen ließe! (a) (30)Darauf kehrte Mose zum Lager zurück mit den Ältesten Israels. (31)Da erhob sich ein Wind, vom HERRN gesandt, und ließ (a) Wachteln kommen vom Meer und ließ sie auf das Lager fallen, eine Tagereise weit rings um das Lager, zwei Ellen hoch auf der Erde. (32)Da machte sich das Volk auf und sammelte Wachteln diesen ganzen Tag und die ganze Nacht und den andern ganzen Tag; und wer am wenigsten sammelte, der sammelte hundert Scheffel. Und sie breiteten sie rings um das Lager aus, um sie zu dörren. (33)Als aber das Fleisch noch zwischen ihren Zähnen war und ehe es ganz aufgebraucht war, da entbrannte der Zorn des HERRN gegen das Volk, und er schlug sie mit einer sehr großen Plage. (34)Daher heißt die Stätte »Lustgräber«, weil man dort das lüsterne Volk begrub.

Pfingsten im alten Testament

Traditionell würde man keinen alttestamentlichen Text an einem Pfingstsonntag erwarten. Pfingsten, das ist etwas typisch christliches. Die Jünger Jesu werden mit dem heiligen Geist beschenkt, dem Tröster, dem Zugang zu den Gedanken Gottes und werden damit befähigt, ohne hohepriesterliche Vermittlung eine Beziehung zu Gott aufzubauen. Pfingsten, das ist Verheissung Jesu und die Geburt der christlichen Kirche.

Und doch ist Pfingsten nichts Neues. Wie unser Text zeigt, wurde Pfingsten bereits zur Zeit des Mose geboren. Und dieser Text zeigt auch, was die Idee hinter Pfingsten ist. Seit dem Sündenfall – also praktisch immer schon – hatte der Mensch keinen direkten Zugang zu Gott. Gott ist der Heilige, derjenige, dem man sich nicht nähern kann, ohne zu vergehen. Unsere Sünde verhindert, dass wir in der Lage sind, Gott direkt zu begegnen. Und so war es schon immer so – und im alten Testament besonders – dass einzelne, speziell begabte Menschen als Vermittler zwischen den Menschen und Gott aufgetreten sind. Noah, Abraham, Jakob, Mose, David, Jesus – sie alle waren Menschen, die ihre Bedeutung dadurch gewannen, dass sie Gott näher standen und Gott besser kannten als die normalen Menschen.

Und damit gewannen sie automatisch die Bedeutung von Hirten. Durch ihre besondere Beziehung zu Gott, konnten sie den Menschen in allen Lebenslagen Rat, Orientierung und Hilfe bieten, etwas, was die Menschen seit jeher brauchten und brauchen. Und dieser Rat ist gesucht. Wenn Menschen merken, dass hier jemand ist, der Gottes Wort zu verkündigen weiß, der ihnen sagen kann, wo es lang geht, der ihre Sorgen und Ängste versteht und weiß was sie benötigen, dann wenden sie sich an ihn und erwarten, dass er durch seine besondere Beziehung zu Gott ihnen das gibt, was sie brauchen. Das war bei Mose genau der Punkt und das finden wir bei Jesus ebenso. Auch Jesus wurde bestürmt und belagert, so sehr, dass er ein ums andere Mal in die Einsamkeit fliehen musste, um die Beziehung zu Gott zu pflegen. Und auch bei Jesus gab es den Punkt, wo ihm die Menge an Sorgen und Nöten, die an ihn herangetragen wurde, schwer zu schaffen machte.

In unserem Predigttext hatte Moses diesen Punkt erreicht. Er hatte das Volk Israel aus Ägypten geführt, hatte ihm die Bundesordnung am Sinai vermittelt und befand sich auf dem Weg durch die Wüste. Aus Gründen, auf die ich nachher noch eingehen werde, ist er am Ende seiner Kraft. Ständig kommt man mit neuen Problemen auf ihn zu, ständig muss er der sein, der kreativ und mit dem Geist Gottes begabt, Wege aus allen möglichen Miseren finden muss. Und in dieser Situation fragt er sich "Warum ich?", er setzt sich hin und klagt Gott sein Leid und wünscht sich – auch um den Preis seines Todes – von der Last der Führerschaft enthoben zu werden. Gott hat ihn zu der Führerschaft berufen, ihn fast gezwungen einer der Großen zu werden, zu der Mutter des Volkes, aber anders als normalerweise bei einer Elternschaft, schien dieses Volk nicht erwachsen werden zu wollen.

Genau darauf reagiert Gott. Mose Problem ist, dass er alleine ist, dass es niemanden gibt außer ihm, der die Grundlage für eine Führerschaft mit sich bringt, nämlich eben Gottes Geist. Und so entscheidet Gott, die Last aufzuteilen. Moses soll siebzig der Ältesten, derjenigen, die schon von ihrem Charakter und ihrer Historie her zur Führung begabt sind, versammeln und Gott will den Geist, den Moses besitzt, aufteilen auf diese, so dass sie die Begabungen bekommen, die Moses auszeichnen. Oder mit anderen Worten: Gott will diese Ältesten befähigten, seine Gedanken zu erspüren, zu merken, wo Gottes Weg ist, damit auch sie fähig sind, diesen Weg weiter zu geben an die übrigen des Volkes.

Konsequenzen des Geistes

Unser Predigttext beschreibt die Wirkung dieses Vorgangs mit dem Wort "Verzückung". Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf. Dabei ist es die prophetische Rede, die hier und im Denken des alten Testamentes im Mittelpunkt steht. Die prophetische Rede ist die Übermittlung von Gottes Wort an die Menschen, ist die Interpretation des Willens Gottes in die Situation der Gemeinde. Die Verkündigung der Prophetie ist dabei so vielfältig wie die Menschen die sie betraf, man denke nur an die Bundestafeln, man denke an die Zeichenhandlungen, die ein Jeremia durchführte, man denke an die Gleichnisse, die Jesus verwendete. Aber eine spezielle Form der Verkündigung war immer die Verzückung, eine Ekstase, ein Rausch, in die der jeweilige Prophet verfiel. Er verkündigte im wahrsten Sinn Gottes Wort mit Begeisterung. Als die Ältesten von Israel mit Gott in nächste Berührung kommen, geraten sie in diesen Zusatnd, was dem Volk als Hinweis darauf diente, dass hier tatsächlich Gott mit seinem Geist am Werk ist.

Dieser ganze Vorgang ist es, der die Verbindung mit Pfingsten darstellt. Bis zu Jesus bedurften die normalen Menschen einer Vermittlung, um Berührung mit den Gedanken Gottes zu bekommen. Gerade die Jünger waren angewiesen auf das, was Jesus ihnen mitteilen konnte. Als der Tod Jesu bevor stand, hat Jesus eben den heiligen Geist verheissen als denjenigen, der die Menschen, die zu Jesus gehören, von einer solchen Vermittlung unabhängig macht. Die Verheissung des Propheten Joel sollte wahr werden, dass das Gesetz Gottes jedem Menschen ins Herz geschrieben wird, dass Alt und Jung, Mann und Frau direkten und unvermittelten Zugang zum Wort und zu den Gedanken Gottes bekommen. Jeder sollte die Weisheit, die Begabung und den Einblick eines Moses bekommen. Und wie bei den Ältesten zur Zeit Mose war die Konsequenz beim Pfingstereignis, dass die Menschen, die es betraf, in Verzückung gerieten und Gott lobten in Sprachen, die ihnen fremd waren.

Aber auch der Zweck dieser Ausgiessung des heiligen Geistes ist ähnlich zu dem, was unser Predigttext aussagt. Gott hat die Ältesten in dieser Weise begabt, damit sie in der Lage sind, seine Gedanken zu verstehen, seine Worte weiter zu geben und auf diese Weise die richtigen Entscheidungen auch ohne Moses treffen zu können. So war es auch bei den Jüngern und so ist es noch bei uns heute. Der heilige Geist soll uns in die Lage versetzen, allein und ohne Vermittlung durch einen Menschen, Zugang zu den Gedanken Gottes zu bekommen. Wir sollen verstehen, was Gott uns sagt in der Bibel, im Gebet, in einer Predigt und in den täglichen Situationen unseres Lebens. Die Priesterschaft aller Gläubigen, wie die evangelische Kirche sie betont, ist das Ziel und der Sinn von Pfingsten.

Und damit verbindet sich der Perikopentext tatsächlich mit diesem Sonntag als das älteste Beispiel für ein Pfingstereignis, das zeigt, dass Pfingsten eben keine neutestamentliche Erfindung ist, sondern in einer Linie mit dem Handeln Gottes steht, wie es schon im alten Testament bezeugt wird.

Die Rahmengeschichte

Doch wie ich schon betont habe, ist der Perikopentext nur der weichgespülte Teil des Bibeltextes. Die Rahmenhandlung, in die unser Predigttext eingebettet ist, erzählt eine, genauer gesagt, zwei Geschichten, die in einem Zusammenhang mit der Ausgiessung des heiligen Geistes stehen.

Ich lese einmal den gesamten Kontext, 4. Mose 11, 4-34

TEXT LESEN

Die Geschichte um Eldad und Medad

Die einfachere der hier erzählten Geschichten ist die Geschichte um Eldad und Medad. Dies waren zwei der von Moses auserkorenen Ältesten, die dazu bestimmt waren, von dem Geist Gottes erfüllt zu werden, aber die Voraussetzungen, die eigentlich geboten waren, nicht erfüllt hatten. Sie waren dem Aufruf des Moses, sich vor dem Zelt zu versammelt, nicht gefolgt und so, wie dies hier beschrieben ist, wohl mit Absicht. Dies zeichnet sie als Leute aus, die vielleicht die Autorität des Moses anzweifelten, die in Opposition zu der Ordnung standen, die Moses darstellte.

Doch ihre innere Einstellung und ihre Weigerung, dem Aufruf des Moses Folge zu leisten, hinderte Gott nicht daran, sie ebenfalls mit dem Geist zu begaben, sie waren vorgesehen, sie standen auf der Liste, also bekamen sie, was versprochen war. Also fingen auch sie an mit der prophetischen Rede und mit den ganzen Zeichen, die auf die Wirkung des heiligen Geistes hinwiesen. Josua war dies ein Dorn im Auge. Er hatte ganz die weltliche Machtstruktur im Sinn. Wenn hier jemand als zu Gott gehörig gekennzeichnet wurde, dann bitte aber auch nur dann, wenn er sich an die menschliche Hackordnung hält und die Befehle des Moses befolgt. Josua sieht die Gefahr, die von einer Ausgiessung des Geistes ausgeht, nämlich die Gefahr, dass die Autoritätsfolge untergraben wird und der Führer, der vorher alleine mit Gottes Geist begabt war, an Macht verliert.

Moses dachte da anders. Im ging es nicht um Macht, ihm ging es um Gott. Und daher sprach er auch den prophetischen Wunsch aus, dass nicht nur ein paar Älteste, sondern alle von Gottes Geist erfüllt würden. Mit Pfingsten hat sich dieser Wunsch erfüllt, aber auch die Gefahr, die Josua gesehen hatte, wurde Wirklichkeit. Wenn die Priesterschaft aller Gläubigen real wird, wer braucht dann noch Priester? Wenn jeder Gottes Wort versteht, wo bleibt dann die Autorität des Auslegers? Wenn alle im Kontakt zu Gott stehen, was wird dann aus der Macht des Vermittlers?

Die christliche Kirche hatte lange Jahrhunderte lang diese Folge von Pfingsten vergessen. Die Apostel und vor allem Paulus hatten sich noch sehr bemüht, die Gemeinden auf die Wirkung des heiligen Geistes einzuschwören. In der Urchristenheit gab es keine offiziellen Machtstrukturen und so war jede Gemeinde und jeder Gläubige auf die direkte Beziehung zu Gott angewiesen. Doch als das Christentum Staatsreligion wurde, da änderte sich das. Plötzlich störte die Freiheit, die Gott schenkt und der Priester als Vermittler zum Wort Gottes wurde immer stärker in den Vordergrund gehoben. Erst mit der Reformation wurde die wahre Bedeutung von Pfingsten wiederentdeckt.

Doch wenn man auf die heutige Zeit schaut, dann stellt man fest, dass der Traum des Moses zwar durch Jesus wahr geworden ist, dass aber das, was die Menschen mit dem heiligen Geist anfangen, nicht immer das ist, was man sich wünschen würde. Freiheit bedeutet nämlich auch Verantwortung, Selbstbestimmung heißt auch Selbstorientierung und die Nähe Gottes bedeutet auch, ungeschützt vor Gott zu stehen. Nicht alle Menschen können damit umgehen. So gibt es auch heute noch genug Gläubige, die sich lieber hinter Vermittler verstecken, die lieber den Worten und Persönlichkeiten von Menschen folgen, als selbst bei Gott auf die Suche zu gehen. Und es gibt die, die merken, dass eine Beziehung zu Gott mit Macht verbunden ist, die sich trefflich ausnutzen läßt.

Mein Bauch ist mein Gott

Und damit kommen wir zu der zweiten Geschichte, in die der Predigttext eingebettet ist. Die Geschichte von dem lüsternen Volk, dem Gier nach Fleisch und dem irgendwie komisch reagierenden Gott. Ich habe das Internet durchforscht und etwa 20-30 Predigten und Bibelarbeiten zu unserem Perikopentext gefunden. Die absolute Mehrheit predigt ausschliesslich über den Perikopentext unter dem Motto "Gott hilft durch seinen Geist". Ganz wenige erwähnen auch die Geschichte von Eldad und Medad unter dem Thema "Gottes Geist schenkt Freiheit". Aber diese zweite Rahmengeschichte erwähnt nur eine einzige Bibelarbeit und diese steht unter dem Motto "sündigt nicht, sonst wird Gott euch bestrafen". Aber ist das wirklich so, will uns die Bibel hier wirklich lediglich sagen "wenn ihr nicht das tut, was Gott will und sei es nur so etwas wie Fleisch essen, dann bringt Gott euch um"? Und was hat das Ganze mit der Ausschüttung des heiligen Geistes an die Ältesten zu tun? Schaun wir mal.

Am Anfang ist alles noch ganz verständlich. Mit den Israeliten zusammen zogen auch viele Menschen, die nicht zu einem der Volksstämme Israels gehörte, vielleicht ehemalige Kriegsgefangene, vielleicht Angehörige von fremden Ehepartnern, vielleicht andere Wüstenbewohner, die sich dem umherziehenden Volk Israel angeschlossen hatten. Sie profitierten von der Nahrungsquelle, die Gott Israel gegeben hatte, dem Mana, das täglich vom Himmel fiel und täglich gesammelt und aufbereitet werden musste. Der Text schildert diese Zubereitung und das Ergebnis war eine Art Ölkuchen.

So ein Essen ist vermutlich ganz ok, besonders dann, wenn man ansonsten Hunger leidet, aber auf die Dauer ist das doch schon ziemlich eintönig. Und wenn man dann überlegt, was so einen leckeren Braten ausmacht, dann kann einem dieses ewige Mana schon zum Hals heraushängen. Genau das passiert hier. Und die Israeliten hatten natürlich wieder nichts besseres zu tun als an Ägypten zu denken, wo sie zwar Sklaven gewesen waren, wo das Essen aber reichhaltig und abwechlungsreich gewesen war.

Und genau dieses ewige Klagen ging Moses gehörig auf den Geist. Wieviel hatte er schon durchgemacht mit diesem Volk. Immer wieder war es ein Standardvorwurf "Warum hast Du uns aus Ägypten geführt, da ging es uns so gut". Vergessen war die Unfreiheit, vergessen war die Unterdrückung, vergessen war die Freude über den Sieg nach langem Kampf, mein Bauch ist mein Gott, dieses Motto demonstriert das Volk Israel immer wieder. Die Vergangenheit wird glorifiziert und als Druckmittel gegen Moses benutzt. Das hatte Moses schon mehrere Male durchgemacht und von daher kommt auch die Reaktion, mit der der Perikopentext eingeleitet wurde. Moses hat die Freude an der Führerschaft verloren und möchte lieber sterben als sich weiter um dieses Volk zu kümmern.

Aber nicht nur Moses war dieses ewige Klagen zu viel, auch Gott wurde zornig, und er hatte auch allen Grund dazu. Wie oft hatte er dem Volk geholfen bei seinem Zug durch die Wüste, wie oft hatte er Beweise für seine Macht gegeben, wie oft hatte er betont, dass er nur eines will, Gehorsam und Demut. Und jetzt beweisen die Menschen wieder einmal, dass sie nur an ihren Bauch denken, dass es ihnen nur um ihr eigenes Wohlergehen geht und nicht um die Ehre Gottes.

Die Reaktion Gottes

Und genau hier beginnt der Text schwierig zu werden. Das Klagen der Israelis ist verständlich, der Zorn Gottes ist verständlich, aber wie reagiert Gott? Gegenüber Moses reagiert er liebevoll und verständnissvoll. Er sieht das Problem des Mose und erkennt es an und sorgt durch die Ausschüttung des heiligen Geistes dafür, dass er Hilfe erhält. So eine Reaktion Gottes nehmen wir gerne an und beziehen es auch gerne auf uns, wie dies dem Thema Pfingsten auch entspricht.

Aber bei der Ursache des Klagens von Mose reagiert Gott irgendwie komisch. Er demonstriert seine Macht, indem er den Wunsch der Israelis erfüllt. Er lässt Wachteln regnen, so viele, dass die Menschen eineinhalb Tage lang ununterbrochen sammeln müssen, um alles Fleisch zu retten. Aber er übererfüllt die Gier nach Fleisch, indem er so viel Fleisch regnen lässt, dass denen, die gierig davon essen, am Ende vor dem ganzen Fleisch ekelt. Auch der beste Braten ist nicht mehr das Richtige, wenn man jeden Tag dasselbe isst, irgendwann einmal bekommt man das auch über.

Das könnte man ja noch als wirksame pädagogische Meßnahme Gottes gelten lassen, wenn da nicht der Pferdefuß an den Wachteln gewesen wäre. Sie trugen vermutlich eine Krankheit in sich, Bakterien, die auf Grund der großen Menge von Fleisch trotz der Maßnahmen, es zu dörren, überlebten und unter denen, die davon aßen, eine Seuche auslösten. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist das kein Wunder. Wenn eine große Vogelschar vom Himmel fällt, dann ist das kein normaler Vorgang, dann wird vermutlich so etwas wie eine Krankheit im Spiel gewesen sein. Und wenn man versucht, in den heissen Verhältnissen der Wüste Sinai Fleisch in grossen Mengen zu zu bereiten, dann ist es auch kein Wunder, dass es zu hygienischen Problemen kommt und dass die Seuchengefahr dann sehr groß ist.

Aber die Bibel im allgemeinen und das alte Testament im Besonderen schreibt solches Geschehen, auch und gerade wenn es tödliche Folgen hat, immer Gott zu. Für das Denken der Menschen im alten Testament war es kein Problem, Gott mit der Willkür und Macht eines orientalischen Monarchen zu sehen. Gott wird zornig und Gott sorgt auch höchstpersönlich dafür, dass das Gericht an den Menschen vollzogen wird. Aber oft genug haben wir damit erhebliche Probleme, weil unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit völlig anders sind als das, was an Vorstellungen aus den Texten des alten Testaments herauszulesen ist.

Was hat das alles mit Pfingsten zu tun?

Hier stehen zu bleiben würde die ganze Härte des Unverständnisses der Reaktion eines allmächtigen Gottes stehen lassen. Es ist kaum zu verstehen, warum Gott dem Murren der Israelis nachgibt und dann hinten herum die Strafe an den Murrenden vollzieht. Ich möchte auch davor warnen, zu glauben, man könnte die Motive und Denkstrukturen Gottes wirklich nachvollziehen. Auch wenn wir immer wieder versuchen, uns solche Erklärungsmuster zurecht zu legen, letztlich bleibt Gott der Heilige, der Souveräne, der an den wir glauben und dem wir folgen sollen, nicht mehr und nicht weniger.

Aber trotz dieser Warnung glaube ich, dass der Text noch mehr hergibt. Ich glaube, dass die Geschichte von der Ausgießung des heiligen Geistes, über die sehr gerne gepredigt wird, mit Absicht im Kontext dieser Geschichte vom murrenden Volk steht, die so gerne vergessen wird. Was hat das eine nun mit dem anderen zu tun?

Das Volk murrt und giert nach Fleisch und demonstriert so, dass es Gott den Gehorsam nur schulden will, wenn Gott als Wunsch-Erfüllungs-Maschine agiert. Das ist die Sünde und Moses erkennt das auch. Die Ursache, warum er das erkennt, ist eben der heilige Geist, die besondere Befähigung, die ihn erfüllt. Wie reagiert Gott? Er begabt 70 Älteste und Führer des Volkes mit eben diesem Geist. Warum?

Nun, die Überlegung ist, dass Moses einfach zu wenig ist, um eine große Menge von Menschen davon zu überzeugen, maßvoll und gottesfürchtig zu leben. Ist es nicht nur Moses, der in diese Richtung predigt, sondern die gesamten Honoratioren, die Führer, die die sonst auch zu sagen haben, dann müsste auch dem normalsten Mitglied des Volkes klar werden, was zu tun ist.

Die Gier nach Abwechslung im Essen ist verständlich, aber diese Gier darf nicht zu unserem Herrn werden. Und Gott hat durch die Ausgießung des heiligen Geistes dafür gesorgt, dass diese Botschaft auch überall verkündet wird. Und dann kommt die Probe aufs Exempel. Gott stellt eine große Menge Fleisch zur Verfügung. Würden die Menschen maßvoll reagieren oder würden sie wieder nur ihren Bauch als Gott akzeptieren?

Im Text heisst es, dass man an diesem Ort das lüsterne Volk begrub. Das deutet darauf hin, dass es nicht alle waren, die von dem Fleisch aßen, die auch von der Seuche getroffen wurden. Es deutet darauf hin, dass die, die maßlos und getreiben von ihrer Gier, des Guten zu viel machten, davon betroffen waren. Das ist auch verständlich, denn wer in dieser Situation des Überangebots maßvoll reagiert, nur die Tiere zum Essen auswählt, die noch geniessbar aussehen und die Regeln der Zubereitung und des Haltbar machens einhält, der läuft auch nur geringe Gefahren, von diesem Essen krank zu werden. Wer aber versucht, möglichst alles zu bekommen und das sofort, der ohne Rücksicht auf Vernunft nur darauf aus ist, die Menge an Fleisch zu maximieren, der wird mit viel höherer Warscheinlichkeit einen schweren Preis bezahlen müssen.

Dieser Gedankengang deutet also darauf hin, dass das Pfingstereignis und die Strafaktion tatsächlich eng zusammenhängen. Gott möchte das Volk nicht bestrafen, sondern erziehen. Er versucht durch Einbeziehung der Elite, durch die Begabung der Führer mit dem Geist, zu erreichen, dass das Volk vernünftig wird und Gott-gemäß denkt und reagiert. Insofern kann man die Menge an Wachteln als eine Versuchung sehen, die testen soll, ob die Vernunft tatsächlich angekommen ist im Herzen der Menschen.

Was bedeutet das für uns?

Durch eine solche Deutung wird die Problematik des Textes nicht kleiner und es wird uns nicht unbedingt leichter, das Handeln Gottes und die Geschehnisse zu verstehen, aber wir können zumindest einen Aspekt daraus erkennen. Auch wenn wir den Geist Gottes besitzen und in der Lage sind, Gottes Willen für uns und unser Leben zu erkennen, so hindert uns das nicht daran, vor jeder neuen Herausforderung und jeder Situation immer wieder neu, uns selbst prüfen und fragen zu müssen, was nun genau das ist, was Gott von uns will. Da wir mit dem Geist begabt sind, haben wir auch die Verantwortung für unser Tun und es ist keineswegs von vorne herein klar, wie dieses Tun aussieht. Und nicht jeder von uns kommt in ein und derselben Situation zu demselben Schluss. Wir sind und bleiben Individuen und als solche können wir uns nicht in der Gruppe verstecken.

Und wenn wir dann trotz aller Bemühungen Gottes den falschen Weg wählen und uns von unserem Bauch regieren lassen, dann müssen wir auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Diese können dann so weit gehen, dass wir an den Folgen unseres falschen Tuns sterben.

Doch Gott sei Dank ist das nicht das Ende des Weges. Der Bibeltext im alten Testament endet mit dem Begräbnis, unsere Geschichte mit Jesus endet mit der Auferstehung. Das ist die Hoffnung, die wir ebenfalls aus dem Pfingsereignis lernen können. Wir mögen falsch entscheiden, wir mögen zu schwach sein, um den Versuchungen des Bauches widerstehen zu können, doch Gottes Liebe wird letztlich auch über unseren Bauch siegen. Jesus hat dies vollbracht und dank des heiligen Geistes können wir dies erkennen. Und darin liegt die wirkliche Bedeutung von Pfingsten.

Amen

Segen

Möge der Schöpfer des Universums, der uns das Leben gab

Sich von den Toren des Himmels herabbeugen, um uns zu segnen

Er segne unseren Tag und unsere Arbeit

Er segne unseren Kopf und unsere Füße

Er segne unser Herz und unseren Mund

Er segne unsere Familie und unser Vieh

Er segne auch unsere Nachbarn und den Kranken, den wir nicht kennen

Er segne unser Alter und unseren Tod

Denn nicht wächst und nichts reift und wird Frucht

Ohne den Segen dessen, der über uns und die Welt wacht

So segne uns der Herr

Amen