Predigt 1. Kor. 12, 12-27

Einleitung

Während des letzten Jahres meiner Studentenzeit kamen Britta und ich in Bonn in den Kontakt mit einer besonderen freikirchlichen Bewegung. Die Mitglieder dieser Bewegung nannten ihre Gemeinde, in die sie gingen, schlicht "die Gemeinde" und den Menschen darin lag die Zerrissenheit der Christenheit besonders am Herzen. So viele verschiedene Kirchen, so viele verschiedene Konfessionen und das, obwohl die Bibel eins ums andere Mal zur Einheit mahnt. Diese Zerrissenheit ist nicht Gottes Wunsch, so glaubten die Mitglieder dieser Gemeinschaft, und es ist unsere Aufgabe, sie zu überwinden. Auf die Frage, wie sie das anstellen wollten, erhielten wir die Antwort, dass dies ganz einfach dadurch zu geschehen sei, dass an jedem Ort die einzige und wahre Ortsgemeinde, eben die Gemeinde, zu gründen sei und alle Christen nur noch in diese eine Gemeinde gehen sollten. Wir fanden es allerdings etwas merkwürdig, die Zerrissenheit der Christen dadurch zu überwinden, dass man eine neue Gemeinde gründet und die Zerrissenheit dadurch noch verstärkt.

Bei dem Thema Einheit oder Zerrissenheit gibt es aber noch einen anderen Aspekt, nämlich den der Verschiedenheit. Und um diesen Begriff soll es in der heutigen Predigt gehen. Der Predigttext steht in 1. Kor. Kapitel 12, die Verse 12-27:

Der Predigttext

12Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl es viele sind,einen einzige Leib bilden, so ist es auch mit Christus. 13Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie und alle wurden mit dem einen Geist getränkt. 14Auch der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen Gliedern.

15 Wenn der Fuß sagt, ich bin keine Hand, ich gehöre nicht zum Leib, so gehört er doch zum Leib. 16Und wenn das Ohr sagt, ich bin kein Auge, ich gehöre nicht zum Leib, so gehört es doch zum Leib. 17Wenn der ganze Leib nur Auge wäre, wo bliebe dann das Gehör? Wenn er nur Gehör wäre, wo bliebe dann der Geruchssinn? 18Nun hat Gott aber jedes einzelne Glied so in den Leib eingefügt, wie es seiner Absicht entsprach. 19Wären alle zusammen nur ein Glied, wo bliebe dann der Leib? 20So aber gibt es viele Glieder, aber doch nur einen Leib. 21Das Auge kann nicht zur Hand sagen, ich bin nicht auf dich angewiesen. Der Kopf kann nicht zu den Füßen sagen, ich brauche euch nicht. 22Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich. 23Denen, die wir als weniger edel ansehen, erweisen wir um so mehr Ehre, und unseren weniger anständigen Gliedern begegnen wir mit mehr Anstand, 24während die anständigen das nicht nötig haben. Gott aber hat den Leib so zusammen gefügt, dass er dem geringsten Glied mehr Ehre zukommen ließ, 25 damit im Leib kein Zwiespalt entsteht, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen.

26Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit, wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm. 27Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ist ein Glied an ihm.

Der Kontext des Textes

Im Kapitel 12 des ersten Korintherbriefes leitet Paulus einen Abschnitt ein, in dem er sich mit den Gnadengaben beschäftigt, also den Gaben, die der heilige Geist schenkt. Offensichtlich hatte es in der Gemeinde in Korinth eine Diskussion darüber gegeben, wie diese Geistesgaben zu beurteilen sind und ob nicht manche Menschen dadurch benachteiligt sind, dass sie gewisse Gaben offensichtlich nicht haben oder ob es gar ein Zeichen der Gottesferne ist, wenn einige bestimmte Gaben nicht aufweisen konnten. Zu diesen Gnadengaben, die Paulus im Verlauf des Kapitel 12 aufzählt gehört die Gabe Krankheiten zu heilen, Wunder zu tun, prophetisch reden zu können, Weisheiten mitteilen zu können, Erkenntnis zu haben, Glaubenskraft, die Fähigkeit Geister unterscheiden zu können, die Zungenrede und die Gabe, die Zungenrede auslegen zu können. Im Kapitel 13 schließlich kommen Glaube, Liebe und Hoffnung als die höchsten Gnadengaben dazu.

All diese Fähigkeiten, so erklärt Paulus, sind durch den einen Geist Gottes geschenkt und der Gemeinde zur Verfügung gestellt worden, sie alle dienen dem Zweck, die Gemeinde aufzubauen und alle Glieder gemeinsam im Glauben an Jesus Christus voran zu bringen.

Besonderen Wert legt Paulus auf die Feststellung, dass es keinesfalls notwendig oder sogar keinesfalls gut ist, wenn alle Gemeindeglieder alles tun könnten. Gott gießt seine Gaben über jeden in dem Maß aus, wie Gott es für richtig hält und da wir Menschen alle verschieden sind, sind auch verschiedene Gaben für uns gut und richtig.

In unserem Predigttext findet Paulus dazu das Bild des Leibes, der aus ganz unterschiedlichen Teilen besteht, die sich jeweils auf eine Aufgabe spezialisiert haben und gerade mit dieser Spezialisierung dem Leib insgesamt nutzen. Gleichmacherei wäre nicht nur sinnlos, sie wäre schädlich, weil ein Leib, der nur Auge ist, eben kein Gehör mehr hat oder ein Leib, der nur Gehör hätte, keinen Geruchssinn mehr hat. Eben nur der Chor der überaus verschiedenen Gaben bilden einen funktionierenden und von Gott gewollten Leib. Die Verschiedenheit ist also von Gott geplant und eingerichtet.

Gabenorientierung in der Gemeinde

So weit ist das auch ganz gut verständlich und wird von allen akzeptiert. Doch die Frage ist, wie weit darf die Verschiedenheit eigentlich gehen? Tatsächlich kann man von verschiedenen Stufen oder verschiedene Ebenen der Verschiedenheit reden, um die es letztlich geht. Paulus redet von der Ebene der Aufgaben in einer Gemeinde. Hier ist es absolut klar, dass es die unterschiedlichsten Aufgaben gibt, für die auch unterschiedliche Menschen von Nöten sind. Jeder von uns weiss das und kennt auch die Aufgaben, sei es Kinder- und Jugendlichenarbeit, sei es das Vorbereiten und organisieren von Events, wie dem Frühstücksgottesdienst, sei es der Gemeindebrief, der Gottesdienst, die Diakonie, die Finanzen, das Haus, das Grundstück usw. usw. All dies muss getan werden, um die Gemeinde funktionstüchtig zu halten, dies ist sozusagen die Basis, mit der Gemeindearbeit letztlich abläuft.

Die Aussage, die Paulus hier bringt und die auch dem modernen Bild der Gemeindearbeit entspricht, ist, dass diese Aufgaben von den Menschen getan werden sollen, die dazu die Fähigkeit und auch die Freude daran haben. Jemanden mit einer Aufgabe zu betreuen, der diese gar nicht richtig erfüllen kann oder der sie eigentlich auch nicht erfüllen will, würde nicht nur negativ für das Ergebnis sein, sondern bei allen Beteiligten Frust und negative Gefühle erzeugen. Daher ist es auch ein durchaus wichtiger Punkt sowohl für einen persönlich als auch innerhalb der Gemeinde insgesamt, die persönlichen Fähigkeiten und Gaben zu erkennen, die Gott einem gegeben hat, und diese für die Gemeinde nutzbar zu machen.

Wir wissen alle, dass so wahr diese Aussage ist, so schwierig sieht die Praxis davon aus. Es gibt einfach zu viele Aufgaben, die wohl jeder sieht und wo jeder überzeugt ist, dass "man" sich mal darum kümmern müsste, wo aber dieses "man" nur ganz, ganz schwer in ein "ich tue es" verwandelt werden kann. Oder genauso schlimm, wo es durchaus Personen gibt, die sich darum kümmern und die viel Zeit und Mühe darauf verwenden, die sich aber von den anderen Gemeindegliedern unbeachtet und im Stich gelassen fühlen, weil die Aufgaben einen doch verschlingen und belasten.

Interessanterweise geht Paulus auf eine solche Problematik nicht ein, vielleicht hatte er dieses Problem damals nicht. Aber das Bild des Leibes kann hier zur Verdeutlichung ebenfalls eingesetzt werden. Wenn es Aufgaben gibt, für die sich keiner findet, der sie tut, dann entspricht das einem Leib, dem manche Fähigkeiten verloren gegangen sind, wie wenn er blind wäre oder gehörlos. So jemanden nennt man behindert und eine Gemeinde, wo Aufgaben brach liegen, ist in gewisser Weise auch behindert. Sie ist dann einfach nicht mehr fähig, die Dinge zu vollbringen, die mit diesen Aufgaben verbunden ist.

Ähnlich sieht es aus, wenn einzelne Personen mit einer Aufgabe zu lange und zu schwer belastet werden, ohne dafür die nötige Unterstützung und die nötige Resonanz aus der Gemeinde zu erfahren. Das ist wie bei einem Leib, wo ein Körperteil zu stark und zu lange belastet wird, ohne dass die anderen helfen. Irgendwann geben die Muskeln nach, wird das Körperteil krank und der ganze Körper wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Daher ist es gut und wichtig, dass man darauf achtet, dass kein Teil überanstrengt wird und schwere Lasten gleichmässig verteilt werden.

Doch wie erreicht man, dass die notwendigen Aufgaben in einer Gemeinde auch getan werden und dabei niemand überlastet wird? Die Antwort in einer Gemeinde lautet: Man kann das nicht erreichen, die Gemeindeglieder müssen es selbst wollen. Gemeinde ist kein hierarchisches Unternehmen, wo der Chef befiehlt und die Untergebenen folgen, Gemeinde ist freiwillig und allein durch den Geist geleitet. Der Gemeindeleiter hat keine Befehlsgewalt, er erfüllt "nur" eine der besonderen Aufgaben. Und wir haben auch hier in Bad Schwalbach schon das eine oder andere Mal erlebt, dass sich Aufgaben nicht befehlen lassen. Jeder hat die Freiheit "nein" zu sagen, aber – und das ist die Kehrseite dieser Freiheit – jeder hat auch die volle Verantwortung für die Gemeinde. Keiner, aber auch niemand darf und kann sagen "Von mir hängt das Wohl der Gemeinde nicht ab". Im Gegenteil, gerade für uns als kleine Gemeinde trifft die Aussage von Paulus in vollem Umfang zu "26Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit".

Aber wir haben hier in Bad Schwalbach das eine oder andere Mal auch die Fortsetzung dieses Satzes von Paulus erlebt "wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm.". Wir haben erlebt, wie sich Dinge und Menschen verändert haben, weil sich Mitglieder freiwillig von Gott in eine Aufgabe rufen ließen und wir haben uns alle zusammen über den Erfolg freuen können.

Verschiedenheit der Menschen

Aber bei der Verschiedenheit der Aufgaben, die verschieden begabte Menschen erfordern, bleibt die Verschiedenheit nicht stehen. Es gibt eine Verschiedenheit, die in einer Gemeinde schon wesentlich schwerer zu ertragen ist, die Unterschiede in der Art zu glauben.

Wir haben uns als Gemeinde ja schon mit Hilfe von Inge Pleick-Kraffzik damit beschäftigt, dass Menschen nicht nur verschieden begabt sind, sondern schlicht auch unterschiedliche Typen darstellen. Innerhalb der vier Grundausrichtungen Distanztyp – Nähetyp – Ordnungstyp und Freiheitstyp hat jeder von uns seine ganz eigene Mischung von Neigungen. Jeder von uns stellt seinen eigenen Typ dar in dem, was er mag, was er gut kann und was er nicht oder nur schlecht kann. Und diese Individualität hat auch Auswirkungen darauf, wie wir glauben.

Ein Distanztyp wird so z.B. seinen Glauben eher rational betrachten, mit Logik und Theologie argumentieren und über seinen Kopf die Beziehung zu Gott leben. Einem Nähetyp wird eher daran gelegen sein, Gemeinschaft zu erleben, die Nähe Gottes zu spüren und das Gefühl zu haben, dass wir alle gemeinsam an der Aufgabe arbeiten, Gottes Gemeinde zu sein.

Diese Unterschiede in der Art des Glaubens kann dann zu Konflikten führen, wie wir es in den Seminaren mit Inge ja auch gelernt haben. Gottesdienste mit sehr kopflastigen Predigten können einen Nähetyp langweilen und das Ausleben der Gemeinschaft mit entsprechenden symbolischen Aktionen der Zusammengehörigkeit kann einen Distanztyp abstoßen. Das Pochen auf Gottes Gesetze und der Ordnung in der Gemeinde mag der Freiheitstyp nicht und das unverbindliche "mal sehen, was wir daraus machen" geht einem Ordnungstyp auf die Nerven.

So lange man implizit von der Meinung ausgeht, wir müssten doch alle gleich glauben und Jesus hat uns doch befohlen, eines Sinnes zu sein, so lange können solche Unterschiede eine Gemeinde zerreissen oder gar spalten. Der erste Schritt, so etwas zu verhindern, ist die Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen und als mit der Persönlichkeit der Menschen verbunden zu erkennen. Daher war das Seminar, das Inge mit uns zusammen durchgeführt hat, so wichtig. Die Unterschiede verschwinden dadurch nicht, auch das unbehagliche Gefühl des Getrennt sein bleibt unter Umständen, aber die Akzeptanz des anderen trotz oder sogar wegen seiner Verschiedenheit wächst.

Denn wir sollten uns klarmachen, dass jeder von uns in seiner Einmaligkeit so von Gott gewollt und geliebt ist. In Psalm 139 heisst es: "Herr, Du erforschst mich und du kennst mich. Ich sitze oder stehe, so weißt du es, du verstehst meine Gedanken von Ferne. Ob ich gehe oder liege, so bist du um mich und sihest alle meine Wege." Das bedeutet doch, dass Gott uns in unserer Verschiedenheit durch und durch kennt und diese Verschiedenheit akzeptiert. Das heisst aber auch, dass die Aufforderung von Jesus und den Aposteln, eines Sinnes zu sein, nicht bedeuten kann, dass wir alle gleich sind in der Art und Weise, wie wir unseren Glauben ausdrücken. Es bedeutet, dass die Grundsätze, die wir verwenden im Umgang miteinander, dieselben sein sollen.

Die Gefahr in der Akzeptanz der Verschiedenheit

Es ist aber noch lange nicht so, dass es genügt zu sagen "ich akzeptiere Dich in Deiner Andersheit". Denn wir sind auch nur Menschen und können nicht aus unserer Haut heraus. Wir fühlen uns eben nur richtig wohl unter Leuten, die so sind und denken wie wir. Nähetypen werden anderen Nähetypen suchen und finden, um Gemeinschaft nahe zu erleben, Freiheitstypen brauchen andere Freiheitstypen, um ihre Spontanität ausleben zu können usw. usw. Auf Grund unserer Verschiedenheit werden sich automatisch Gruppen innerhalb der Gemeinde bilden, die eine stärkere Verbindung haben als die zwischen den Gemeindegliedern, die zu unterschiedlichen oder gar gar keinen Gruppen gehören.

Die Gefahr in so einer Situation liegt darin, dass aus einer Akzeptanz und Toleranz eine Gleichgültigkeit wird, ein Nebeneinander. Passiert so etwas, dann ist die Gemeinschaft in höchster Gefahr, daran kann eine Gemeinde zerbrechen. Wie also erreicht man, dass man eine Gemeinschaft bleibt trotz unser Andersartigkeit, trotz unserer Verschiedenheit?

Auch hier hilft das Bild des Leibes. Die verschiedenen Glieder des Leibes gehören deshalb zum Leib und sind nicht getrennt, weil sie gemeinsam mit allen Gliedern verbunden sind mit demselben Gehirn, sie werden versorgt über dasselbe Herz und reagieren über dasselbe Nervensystem. Überträgt man das auf die Gemeinde mit ihren unterschiedlichen Typen, so bedeutet das zuerst, dass alle verbunden sind mit demselben Geist, durch denselben Glauben an Jesus Christus. Das möchte Paulus in unserem Predigttext auch zum Ausdruck bringen. Das Element, das uns als eine Gemeinde zusammenhält, ist der Glaube an den einen Gott. Ich denke, das ist uns allen klar.

Rein praktisch ist es aber oft genug ziemlich schwierig zu entscheiden, wann die Verschiedenartigkeit im Glauben noch überwindbar ist und wann sie unüberwindbar geworden ist. Ich möchte das mit zwei Beispielen verdeutlichen. Bei uns in der Gemeinde gibt es höchst unterschiedliche Ansichten, wie die Stellen in der Bibel in Bezug auf die Stellung der Frau in Familie und Gemeinde in der heutigen Zeit zu verstehen sind. Das zumindestens hat die moderierte Diskussion vor ein paar Jahren gezeigt, die wir durchgeführt hatten. Aber diese Unterschiede im Verständnis von Gottes Wort hat nicht dazu geführt, dass wir als Gemeinde auseinandergebrochen sind, sondern wir haben – so denke ich – gelernt, den jeweils unterschiedlichen Standpunkt des anderen zu akzeptieren.

Ein anderes Beispiel ist mir vor 22 Jahren passiert als ich der Leiter der christlichen Studentengruppe in Bonn war. Damals tauchte eine junge Frau in unserem Gebetskreis und in unseren Hauskreisen auf, die auch interessiert und intensiv bei Gebet und Diskussion mitmachte. Es stellte sich heraus, dass diese Frau der Mun-Sekte angehörte, die sich im Prinzip nicht als Sekte, sondern als christliche Freikirche verstand. Als Verantwortlicher für der Stundengruppe habe ich mich daraufhin intensiv mit der Mun-Sekte auseinander gesetzt, habe mir die entsprechende Literatur geben lassen, um herauszufinden, woran diese Menschen glauben und woran nicht. War es wirklich Jesus, den sie bekennen oder war es etwas anderes? Am Ende musste ich der jungen Frau sagen, dass sie in unseren Kreisen nicht mehr erwünscht ist, denn zu groß waren die Differenzen zwischen ihr und dem Bekenntnis unserer Gruppe. Hier lag nicht nur eine Verschiedenheit im Typ oder in der Art des Glaubens vor, sondern eine Verschiedenheit im Inhalt und damit war eine Gemeinschaft im christlichen Sinn nicht mehr möglich.

Diese Beispiele zeigen, dass es gar nicht einfach ist, eine gesunde und Gemeinschaft fördernde Balance zwischen Gemeinsamkeit und Verschiedenheit zu finden. Es ist auch nicht so, dass man eine Balance ein für alle Mal gefunden hat und dann auf der sicheren Seite ist. Gemeinschaft ist und bleibt eine Folge der Beziehungen und Beziehungen müssen gepflegt werden, nicht nur da, wo es uns leicht fällt, weil der andere genauso gestrickt ist wie ich, sondern auch da, wo es Differenzen gibt, wo es Unterschiede gibt, wo es mir Schmerzen bereitet, wenn der Andere so völlig anders ist als ich erhoffe.

Verschiedenheit auch bei Gemeinden

Bis jetzt ging es in der Predigt um die Verschiedenheit zwischen Personen, zwischen einzelnen Menschen, die versuchen, eine christliche Gemeinschaft zu leben. Doch es liegt nahe, das Bild der verschiedenen Glieder, die durch einen Geist verbunden sind, auch noch weiter zu sehen, auf die verschiedenen Gemeinden und Religionsgemeinschaften, die es gibt.

Wie bei dem Beispiel zu Beginn meiner Predigt halten viele Menschen die Aufteilung des Christentums in katholisch, evangelisch, baptistisch, charismatisch, anglikanisch, presbyterisch, metodistisch usw. usw. als ein Kennzeichen der Zersplitterung, der Abwesenheit von Einheit. Doch genauso wie bei den unterschiedlichen Arten des Glaubens, der durch die unterschiedlichen Typen von Menschen entstehen, müssen wir uns fragen, ob diese Verschiedenheit nicht tatsächlich gut ist, von Gott gewollt oder zumindest akzeptiert. Ob diese Verschiedenheit nicht auch eine Einheit in demselben Geist ist.

Um diese Frage zu beantworten, ist ein Schritt zunächst einmal wichtig, wir müssen unsere Abwehr gegen diese Gemeinschaften überwinden und Kontakte pflegen. Denn nichts führt zu unüberwindlichereren Schranken als nichts voneinander zu wissen und die Menschen der anderen Seite nicht zu kennen. Wenn man kein Wissen voneinander hat, dann blüht die Phantasie und das Vorurteil und man fängt an, in der anderen Seite keine Menschen mehr zu sehen, sondern Dinge, eventuell sogar Feinde. So sind in der Vergangenheit mehr als ein Mal Kriege entstanden.

Aber auch heutzutage sind die Schranken des Nicht-Wissens noch immer sehr groß. Viele katholische oder evangelische Gemeinden wissen nichts von freikirchlichen Gemeinden und in den freikirchlichen – auch in den baptistischen – Gemeinden werden tiefe Vorurteile gerade gegen Papst und katholische Gemeinden gepflegt. Der Kreislauf von Nicht-Wissen und Vorurteil besteht auch heute noch.

Da ist es gut, wenn der Kreislauf durchbrochen wird und man Menschen von der anderen Seite einmal kennen lernt. Man wird feststellen, dass auch katholische oder evangelische oder pfingstlerische usw. Gemeinden ganz normale Gemeinden sind, die versuchen, ihren Glauben an Jesus zu leben und dabei miteinander klar zu kommen.

Dabei sollen die Unterschiede nicht klein geredet werden, die es tatsächlich gibt und die man beobachten kann. Die Unterschiede ergeben sich aus den unterschiedlichen Traditionen, aus unterschiedlichen Schwerpunkten in der biblischen Verkündigung und aus unterschiedlichen Schwerpunkten, die die Menschen selbst in die Gemeinden mit einbringen. Doch wie sind diese Unterschiede zu bewerten?

Zwei Beobachtungen mögen dabei helfen. Bereits zur Zeit des Paulus waren Gemeinden ziemlich unterschiedlich. Selbst die, die von Paulus selbst gegründet wurden, hatten auf Grund der unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Schwerpunkte herausgebildet, in denen sie ihren Glauben gelebt haben. Man kann zwar davon ausgehen, dass durch die einheitliche Verkündigung der Apostel das theologische Gebäude einheitlich war, aber in der Praxis führte auch das nicht zu derselben Einstellung der verschiedenen Gemeinden. Als Beispiel kann hier der Text in 1. Kor. 3, 4+5 dienen, wo Paulus schreibt: "4Denn wenn der eine sagt: Ich gehöre zu Paulus, der andere aber: Ich zu Apollos -, ist das nicht nach Menschenweise geredet? 5Wer ist nun Apollos? Wer ist Paulus? Diener sind sie, durch die ihr gläubig geworden seid, und das, wie es der Herr einem jeden gegeben hat" Das, was Paulus hier indirekt sagt ist, dass jeder Mensch – und damit auch jede Gemeinde – in der Art gläubig geworden ist, wie der Herr es ihm gegeben hat.

Die zweite Beobachtung ist, dass Menschen innerhalb einer Gemeinde sich einander angleichen. Läßt man sich auf eine Gemeinschaft ein und lebt miteinander, so beeinflusst man sich gegenseitig. Also auch, wenn wir anfangs sehr verschieden sind, werden sich diese Verschiedenheiten mit der Zeit aneinander angleichen, wenn auch niemals vollständig ausgleichen.

Umgekehrt bedeutet das, dass sich Gemeinden so wandeln, wie die Menschen in den Gemeinden dies bevorzugen. Das heisst, dass in den Gemeinden auf Grund der Menschen, die darin leben, die Unterschiede herausgebildet werden.

Und über diese Unterschiede kann man durchaus froh sein. Ich möchte dazu zwei Beispiele aus meinem eigenen Erleben erzählen. Als ich noch kein Christ war, besuchten mich regelmäßig die Zeugen Jehovas. Nun kann man darüber streiten, inwieweit die Zeugen Jehovas eine echte christliche Gemeinschaft sind, doch für mich als Nicht-Christ war damals der Unterschied nicht erkennbar. Der Schwerpunkt der Zeugen Johovas ist das gesetzlich orientierte Leben, wobei sich die Gesetze auch noch in deutlicher Art und Weise vom Umfeld abgrenzen. Eine solche Art zu glauben ist nichts für mich. Wäre der Art der Zeugen Jehovas die einzige christliche Art zu glauben, ich wäre niemals Christ geworden. Doch Gott sei Dank gab und gibt es Gruppen, die ihren Glauben anders leben.

Das zweite Beispiel passierte mir einige Jahre später in Taunusstein Bleidenstadt. Ich versuchte in meiner evangelischen Ortsgemeinde Fuß zu fassen und meinen Glauben dort zu leben. Die Menschen, die ich dabei antraf, waren durchaus nett, sozial sehr engagiert und taten das, weil sie das Bedürfnis hatten, wegen ihres Glaubens an Gott den Menschen Liebe zu tun. Dafür redeten sie relativ wenig von Jesus und auch der sonntägliche Gottesdienst war nicht so ganz oben auf ihrer Wichtigkeitsskala. So kam es, dass ich irgendwann einmal die Entscheidung treffen musste, dass diese Art, den Glauben zu leben, nicht meine Art war. Ich fand in der Baptistengemeinde Bad Schwalbach Menschen, die wesentlich besser zu meiner Einstellung passten und so kam ich hierher.

Die Beispiele zeigen, dass die Verschiedenheiten der Gemeinden dahingehend gut und wichtig sind, als dass sie verschiedene Menschen die Möglichkeit geben, auf einem Weg mit Gott zu gehen. Und insofern kann man die Verschiedenheit als Gott gewollt und segensreich ansehen, denn sie führt bei allen Unterschieden dazu, dass Menschen durch den einen Geist an den einen Gott gebunden werden.

Aber genauso wie bei dem Beispiel mit der jungen Frau aus der Mun-Sekte, von der ich vorhin erzählte, gibt es natürlich Grenzen, an denen man erkennen muss, dass die Unterschiede zu groß werden und diese anders glaubende Gemeinde nicht mehr zu dem einen Geist gehört, unter dem wir stehen wollen. Aber wir sollten unsere Tendenz, diese Grenzen immer enger zu fassen und immer weiter in das hinein zu ziehen, was nur wir gut finden, bekämpfen. Denn es geht um den Geist Gottes unter den wir uns stellen und nicht um unseren eigenen Geist, der bestimmend sein soll. Und Gott hat alle Menschen geschaffen und ist weitherziger und großzügiger als wir uns das je vorstellen können.

Amen.

Segensgebet

Der allmächtige Gott erfülle dich mit seiner Kraft, auf dass du mit Gelassenheit ertragen kannst,was er dir schickt,

auf dass du fähig wirst zu leiden, ohne daran zu zerbrechen,

auf dass du Niederlagen hinnehmen kannst, ohne daran zu erliegen,

auf das du lernst, auch mit Unbeantwortbarem zu leben, ohne deine Hoffnung aufzugeben.

Er erfülle dich mit Mut und stärke dich mit Zuversicht, auf dass du deinen Weg machst.

Er erfülle dich mit Geduld, Liebe und Güte, Demut und Barmherzigkeit,

auf dass du fähig wirst, mit deinen und den Fehlern anderer zu leben,

So segne er euch alle und bleibe alle Zeit bei euch,

der liebende und barmherzige Gott, der Vater, Sohn und Heilige Geist.

Amen.