Predigt über 2. Moses 34, 4-10

Einstieg:

Es war einmal ein kleines Volk, das hatte einen mächtigen König zum Nachbarn. Dieser mächtige König bot dem kleinen Volk eines Tages ein Bündnis an, durch das der Einfluss und die Macht des kleinen Volkes stark zunehmen würde. Aus diesem Grund nahm der Führer des kleinen Volkes das Bündnis auch an und verkündigte die Bedingungen des Bündnisses an seine Leute, die das Bündnis einstimmig annah-men.

Nachdem so die Sache besiegelt war, wurde der Führer eingeladen, die Einzelheiten des Bündnisses mit dem mächtigen König zu besprechen. Aber während diese Ver-handlungen noch andauerten, kam die Nachricht, dass Truppenverbände des kleinen Volkes Dörfer des mächtigen Königs angegriffen, geplündert und vollständig zerstört hatten.

Was wird der mächtige König daraufhin unternehmen? Wenn es um reale Politik geht, dann ist die Antwort darauf relativ einfach. Der mächtige König würde seine Truppen mobilisieren und die Übeltäter schwer bestrafen, vielleicht sogar einfach das kleine Volk einkassieren.

Aber manchmal geht es nicht nur um Politik, manchmal kann sich ein solch schreck-liches Ereigniss doch noch zum Guten wenden. Hören wir den Predigttext, den ich für den heutigen Sonntag ausgewählt habe.

Lesen:

Lese 2. Mose 34, 4-10

Der Hintergrund:

Was hat dieser Text mit der kleinen Geschichte vorhin zu tun? Eigentlich alles. Gott hat das Volk Israel aus Ägypten geführt bis hin zum Berg Sinai. Dort erhält Moses die zehn Gebote und in einer wohl sehr anstrengenden Pendelpolitik bringt Moses diese Gebote zum Volk Israel. In 2. Moses 24,7-8 heisst es schliesslich

‘‘Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volks. Und sie sprachen: Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören. Da nahm Mose das Blut, besprengte das Volk damit und sprach: Seht, das ist das Blut des Bundes, den der Herr mit Euch gschlossen hat auf Grund aller dieser Worte.“

Der Abfall:

Doch die Zustimmung hält nicht lange. Als Moses 40 Tage und 40 Nächte auf dem Sinai verweilt und weitere Einzelheiten und Ausführungsbestimmungen erhält, meu-tert das Volk. Es fordert Aaron auf, ihm einen sichtbaren, leicht handhabbaren Gott zu machen und Aaron giesst das goldene Kalb.

Gott bleibt das natürlich nicht verborgen und er reagiert ganz im Sinne herkömmli-cher Politik, In 2. Mose 32,9+10 sagt er in Konsequenz zu Moses

„Ich sehe, dass es ein halsstariges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge, dafür will ich Dich zu einem grossen Volk machen.“

Mit anderen Worten, Gott hat die Nase wieder einmal voll. Er will einen neuen Anfang machen und mit Moses alleine neu beginnen. Wie will er denn nur wissen, dass die Nachkommen des Moses nicht genauso halsstarrig snd, wie die ganzen Nachkommen Abrahams?

Moses verhandelt

Doch Moses ist nicht bereit, sich auf dieses Angebot Gottes einzulassen. Er redet auf Gott ein und erreicht, dass Gott nicht spontan strafend handelt. Dann begibt sich erst einmal selbst zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Und was er sieht, treibt ihn zum Zorn. Er vernichtet das Kalb und zerstört die dazugehörigen Altäre, die Aaron aufgebaut hatte. Und als auch das noch nicht reicht, sammelt er Männer um sich und es gibt eine Schlacht, bei der 3000 Männer sterben.

Nachdem der Zorn von Moses vorüber ist, setzt der Versuch ein, die Beziehung zu Gott wieder ins Reine zu bringen. Gott ist keineswegs davon weg, selbst aktiv zu werden und noch weitere Konsequenzen zu ergreifen.

Doch Moses geht so weit und bietet seinen eigenen Rücktritt, sein eigenens Leben an, er verbindet sich mit allen Konsequenzen mit dem Schicksal seines Volkes. In 2. Mose 32, 31-32 heisst es

„Ach, das Volk hat eine grosse Sünde getan und sie haben sich einen Gott aus Gold gemacht. Vergib Ihnen doch ihre Sünde, wenn nicht, dann tilge mich aus Deinem Buch, das Du geschrieben hast.“

Gott vergibt:

Also lässt Gott sich überreden, von einer Vernichtung abzusehen, aber er will eigent-lich das Bündnis lösen und das Volk Israel allein seines Weges ziehen lassen. Doch auch hier ist Moses noch nicht zufreden. In 2. Mose 33, 15-16 argumentiert Moses abschliessend

„Wenn nicht Dein Angesicht vorangeht, so führe uns nicht von hier hinauf. Denn wor-an soll erkannt werden, dass ich und Dein Volk vor deinen Augen Gnade gefunden haben, wenn nicht daran, dass Du mit uns gehst, so dass ich und Dein Volk erhoben werden vor allen Völkern.“

Am Ende gewinnt Moses. Gott nimmt alle Drohungen zurück, weil sich Moses so für sein Volk einsetzt und es kommt zu der Erneuerung des Bundes, unseren Pre-digttext.

Viele Fragen:

So weit die Geschehnisse, die eines Filmes durchaus würdig wären. Die Bibel schil-dert das alles in sehr dürren Worten, ohne die Dramatik hervorzuheben, die in dem Ringen Mose mit Gott enthalten sind. Und viele interessante Fragen schliessen sich an diese Texte an, zum Beispiel:

Das heutige Thema:

All dies sind interessante Fragen, denen ich aber nicht weiter nachspüren möchte. Mein Thema heute ist die Gnade. Gott sagt im Predigttext über sich selbst aus:

„Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von grosser Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde“

Aber im selben Textabschnitt setzt Gott hinzu

„aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kin-der und Kindeskinder, bis ins dritte und vierte Glied“

Was ist Gnade:

Liest man das, dann fallen einem zwei Dinge sofort auf, die auch unmittelbar zu Fra-gen führen:

1. Gott ist ein gnädiger Gott

Das hört man gerne. Wenn die Macht, die einen in den Händen hält, gnädig ist, dann braucht man weniger Angst zu haben, dann fühlt man sich weniger ausge-liefert.

Aber was ist das, ein gnädiger Gott? Gott, der kennt alles, der kann den Men-schen in die Herzen schauen. Dieser Gott kann doch all das, was passiert im Voraus sehen. Ist das nicht widersinnig, erst alles mögliche zuzulassen und dann Gnade walten zu lassen? Was ist mit den Opfern, was ist mit den Konsequenzen von Sünde?

Überhaupt das Wort Gnade. In diesem Wort schwingt einiges an Distanz mit, ja Willkür. Nach welchen Regeln wird Gnade gewährt, wann ist Gnade angebracht, wann nicht?

2. Gott bestraft Unrecht bis in die 3. und 4. Generation

Dass Unrecht bestraft wird, das kann man irgendwie noch einsehen. Man muss für die Folgen seiner Tat zur Verantwortung gezogen werden, sonst würden wir niemals etwas lernen. Aber bis in die 3. und 4. Generation? Das ist doch ein wenig hart. Was können die ungeborenen Kinder für die Missetaten ihrer Eltern?

Wenn wir anfangen, über das Phänomen Gnade nachzudenken, dann wird es schwierig, zumindest, wenn man diese Texte vergleicht mit dem, wie man sich Gott so vorstellt.

Ein altes Bild:

Dabei bin ich der Meinung, dass die Menschen im alten Israel weniger Probleme mit diesen Texten gehabt haben. Denn das Bild, das hier von Gott gezeichnet wird, ent-sprach ihrer Erfahrung. Gott wird hier dargestellt, wie ein König im Altertum, allmäch-tig, teilweise willkürlich, den Einflüssen von Beratern ausgesetzt, in seinen Meinun-gen wechselnd. Um das zu sehen, braucht man lediglich die Texte zu lesen, wie Menschen beispielsweise mit Nebukadnezar umgegangen sind, und welche Macht-fülle und Möglichkeiten dieser König gehabt hat.

Genauso war es dann auch mit der Gnade. Man war dem allmächtigen König ausge-liefert und von seinem Spruch abhängig, ob er nun den Tod bedeutete oder nicht. Von der Gnade dieses allmächtigen Herrschers hing damit auch die eigene Existenz ab.

Hat man dieses Bild vor Augen, das damals ja realem politischen Handeln entsprach, dann sind die Reaktionen und Taten Gottes in diesem Text ein wenig verständlicher. Gott wird dargestellt als ein solcher allmächtiger König, der aber viel gnädiger ist, als normalerweise ein menschlicher König wäre. Dies zeigt der Hinweis auf die „Tau-senden“, denen er Gnade erweist.

Heutige Probleme mit dem Bild:

Aber wir heute haben Probleme mit diesem Bild. Der allmächtige König ist kein posi-tives Bild mehr, zu viel ist uns der Machtmissbrauch und das nur allzu menschlich Sein von Herrschern und Dikatatoren bewusst. Und mit den Problemen, die wir heute mit dem Königsbild haben, kommen auch die Probleme, die wir mit der Gnade ha-ben, die Gott gewährt oder nicht. Die Willkür, die Regellosigkeit, das Ausgeliefert-Sein kommen uns unverständlich und negativ vor.

Dieses Phänomen sollte uns nicht überraschen. Gott hat damals seine Botschaft so verpackt, dass die Menschen der damaligen Zeit sie gut verstehen konnten. Er hat die Bilder, denen sie täglich ausgesetzt waren, benutzt. Die Bilder können sich mit der Zeit ändern, die Botschaft bleibt unverändert. Es ist daher unsere Aufgabe, andere – unsere – Bilder zu finden, die die Botschaft Gottes so widergeben, dass wir sie verstehen können.

Was sagt das neue Testament:

Nun liegt uns ja das neue Testament zeitlich viel näher, kann es uns dabei helfen, diesen alttestamentlichen Text zu verstehen? Nun hier in dem Mose-Text wird noch betont, dass es die wesentliche Aufgabe der Menschen ist, die Gebote zu halten, die in den umgebenden Kapiteln des Predigttextes aufgezählt werden. Gnade wird also „nur“ notwendig, wenn die Gebote nicht gehalten werden.

Mit dem NT wird klar, dass dies immer der Fall ist. Der Mensch ist einfach nicht in der Lage, sündlos zu leben. Der Bedarf an Gnade ist immer vorhanden und das NT spricht diese Gnade allen zu, die sich auf Jesus einlassen und ihm im Glauben fol-gen. Damit ist das Thema des NT die Rettung durch Gnade im Gegensatz zur (un-möglichen) Rettung durch das Gesetz.

Die richtige Regel: Liebe

Ein wesentlicher Punkt, der einem in dem Mosetext Probleme bereitet, wird dadurch geklärt. Gnade wird nicht mehr willkürlich von einem launischen Gott vergeben, son-dern ist an klare Spielregeln gebunden. Es werden Richtlinien gegeben, die die Müh-sal, alle Gesetze erfüllen zu müssen, um nicht der Gnade ausgeliefert zu sein, zu-rückführt auf ihre ursprüngliche Bedeutung, auf den einfachen Grundsatz des liebe-vollen miteinander Umgehens.

Aber auch im NT gibt es keine bedingungslose Gnade, auch im NT wird klar gesagt, dass es Menschen gibt und geben wird, die keine Gnade finden. Paulus wird nicht müde zu betonen, dass wir zwar frei sind vom Gesetz, aber wir sind nicht gesetzlos. Die Wirkungsweise ist im NT umgekehrt. Nicht weil wir das Gesetz halten sind wir gerettet, sondern weil wir gerettet sind, können wir das Gesetz halten. Das Halten des Gesetzes soll uns als Christen in die Herzen geschrieben sein.

Die traurige Realität:

Aber geschieht das wirklich? Wir alle wissen, dass das so, wie es von Gott gedacht ist, nicht geschieht. Wir sind die ersten, die erkennen können, erkennen müssen, wie wenig wir in der Lage sind, die Liebe Gottes in unserem eigenen Leben und im Um-gang mit Anderen lebendig zu machen. Wir wissen genau, wie sehr wir ständig und immer wieder der Gnade bedürfen.

Und damit werden wir zurückgeworfen auf die Schwierigkeit zu verstehen, was ei-gentlich Gnade ist, woher sie kommt und wer sie bekommt. Dadurch, dass wir Christen eine Glaubensaussage machen, sind wir noch genauso schlecht wie vorher, aber wir bekommen Gnade, während ein Nicht-Christ vielleicht unterm Strich viel besser ist, der aber findet keine Gnade?

Man versuche das einmal einem Nicht-Christ zu erzählen. Viele in der heutigen Zeit argumentieren dann, dass sie mit enem Gott der dermassen ungerecht ist, nichts zu tun haben wollen. Das Gefühl des Ausgeliefertsein an die Willkür eines launischen Gottes kehrt zurück. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass viele viel lie-ber daran glauben, dass eh alle Menschen gerettet sind – egal was sie anstellen – oder dass man über die Widergeburt alle Verfehlungen bis in alle Ewigkeiten abar-beiten muss.

Ursache: unsrerer Zeitgeist:

Die Ursache dieser Probleme liegt wieder einmal bei uns und unserem Welt- und Gottesbild, dem Zeitgeist. In der heutigen Zeit hat die Logik einen zentralen Platz eingenommen und etwas, was nicht logisch ist, wird von einer Mehrheit nicht akzep-tiert. Aus diesem Grund versuchen wir, Gott in ein logisches Korsett zu pressen und protestieren, wenn es ihm nicht passt. Wir müssen eigentlich erkennen und akzeptie-ren, dass Gott grösser ist als unsere Logik.

Diese Aussage, so wahr sie ist, erklärt unsere Probleme, aber sie löst sie nicht. Was also ist zu tun? Eigentlich genau dasselbe, was auch im Neuen Testament gegen-über dem alten Testament geschehen ist. Wir müssen ein Bild finden, das uns bes-ser passt, das in uns das Gefühl hervorruft, zu verstehen, wie Gott ist. Wir müssen uns zwar darüber im Klaren sein, dass das ein Bild ist – also eine potentiell fehler-hafte Vorstellung von Gott, aber wenn das Bild in unsere Zeit passt, dann werden wir mit diesen Defiziten des Bildes leben können, genauso wie die alten Israeliten mit ihrem Bild. Die Überarbeitung des Bildes können wir dann den nachfolgenden Gene-rationen überlasse, die wieder in einer anderen Zeit zu Hause sind.

Das Bild des Vaters

Wie also können wir das Thema Gnade verstehen, wenn uns das Bild vom allmächti-gen König, der nach eigenem Gutdünken Gnade gewährt, nicht zusagt und nicht mehr passt? Gott sei Dank brauchen wir nicht lange zu suchen. In Röm 6, 15 sagt Paulus

„Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass Ihr Euch abermals fürchten müsstet, sondern Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen ‚Abba, lieber Vater‘“

Im NT ist das Königsbild abgelöst durch das Bild vom liebenden Vater.

Nun war zu Jesu Zeiten der Unterschied zwischen beiden Bildern sehr viel geringer als heute, ein Vater – ein Familienoberhaupt – hatte in der damaligen Zeit fast unbe-schränkte Machtansprüche, dem seine Kinder unterlagen. Aber während wir das Kö-nigsbild nur schwer in die heutige Zeit tragen können, können wir das Vater-Bild ver-wenden, um uns heute ein Bild davon zu machen, wie Gott Gnade meint.

Die Gnade durch den Vater

Ein Sprichwort sagt: „Alles verstehen heisst alles verzeihen“. Ich denke in diesem Sinn ist die Gnade Gottes zu verstehen. Gott kennt uns, er ist unser Schöpfer und Vater, er weiss, was in uns vorgeht, was uns bewegt, sogar besser als wir selber. Wenn wir etwas Falsches tun, dann weiss er, warum. Und indem er versteht, kann er verzeihen, indem er uns kennt, kann er Gnade gewähren. Er weiss genau, was uns bewegt.

Ein Vergleich mit einem menschlichen Vater ist angebracht. Ein menschlicher Vater liebt normalerweise seine Kinder. Wenn sie etwas anstellen, dann wird er geneigt sein, ihnen zu vergeben, es sei denn, ihm erscheint es wichtig, erzieherisch einzu-greifen, denn letztlich muss das Kind irgendwann in der Lage sein, selbstständig richtig zu reagieren.

Aber während ein menschlicher Vater in seinem Egoismus und seiner eigenen Be-schränktheit nur zu leicht falsch reagiert, ist Gott unser wahrer Vater. Er weiss, wann wir eine Lektion nötig haben und wann Gnade der richtige Weg ist.

Mit dem Bild des Vaters können wir auch verstehen, warum wir Christen Gnade empfangen können. Weil wir als Christen über Jesus eine Beziehung zu Gott auf-bauen können, ist es uns möglich, Gott zu hören. Ist diese Beziehung da, dann wer-den wir gerettet werden, ist sie nicht da, dann wird Gott sehr viele Schwierigkeiten haben, uns auf den rechten Weg zu ihm zu führen.

Das Bild des liebenden Vaters können wir also verwenden, um den heutigen Text zu verstehen. Gott sagt über sich selbst:

„Gott, Gott, der Vater, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Treue, der da ein liebernder Vater ist für Tausende und Missetat und Übertretung und Sün-de nachsieht, der aber seine Kinder erzieht und die Folgen der Sünde für diesen Zweck bis in die 3. Und 4 Generation spüren lässt.

AMEN