Predigt über Matthäus 21, 1-9 (1. Advent)

Einleitung

Ich möchte heute morgen mit einem kleinen Test beginnen, sozusagen einem Intelligenztest. Dabei wird der einfachste Test der Welt verwendet. Jeder soll sich die Antwort auf die folgenden kleinen Fragen selber geben und auch selber prüfen, wie sein Resultat aussieht. Bestanden hat man den Test, wenn man 2 der folgenden 4 Fragen korrekt beantwortet:

1.) Wie lange dauerte der 100-jährige Krieg?

2.) Welches Land stellt die sogenannten Panama-Hüte her?

3.) In welchem Monat feiert die Russen den Jahrestag der Oktober-Revolution?

4.) Nach was für einem Tier erhielten die Kanarischen Inseln ihren Namen?

Nun, hat sich jeder überlegt, was er antworten möchte? Hier sind die korrekten Antworten:

1.) Der hunderjährige Krieg dauerte 116 Jahre.

2.) Die Panama-Hüte werden in Ecuador hergestellt.

3.) Die Russen feiern die Oktober-Revolution im November

4.) Und die kanarischen Inseln erhielten ihren Namen nach dem Hund, lateinisch canis.

Ich weiss natürlich nicht, wieviele von Euch diesen Test jetzt bestanden haben, aber eines zeigt er, dieser Test. Manchmal sind die Dinge nicht ganz so einfach, wie sie auf der Oberfläche erscheinen. Und was diese Erkenntnis mit der heutigen Predigt zu tun hat, das werden wir später sehen.

Text lesen

Heute ist der erste Advent und der erste Sonntag des Kirchenjahres. Mit heute beginnt auch die Predigtreihe I des offiziellen Predigtleseplans. Der Text für den heutigen Sonntag steht im Evangelium des Matthäus, Kapitel 21, die Verse 1-9

Text Lesen Mt, 21, 1-9

Weihnachten?

Was hat dieser Text eigentlich mit Weihnachten zu tun? Advent ist die Vorbereitungszeit auf Weihnachten und hier kommt ein Text, den ich eigentlich immer zu den österlichen Texten gezählt habe. Was erzählt dieser Text? Jesus zieht in Jerusalem ein, vermutlich nicht zum ersten Mal, aber zum letzten Mal. Und im Gegensatz zu den vorhergehenden Gelegenheiten, zieht Jesus anders ein, nicht in der Stille, nicht grösstenteil unerkannt, nicht aus mehr persönlichen Gründen, sondern laut, offiziell, mit einem sehr starken symbolischen Akt. Einem Symbol, das eines deutlich macht: den Anspruch Jesu, König von Israel zu sein.

In diesem Anspruch besteht die Verbindung zu Weihnachten. Weihnachten, hier feiern wir die Geburt des Königs. Die textlichen Hinweise auf diese Aussage sind sehr stark, gerade für Matthäus ist dieser Aspekt von Jesus sehr wichtig:

Weihnachten - ein König wird geboren

Am deutlichsten wird bei der Geburt Jesu als neuer König von Israel in Mat. 2, 1-2 geredet.

Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.

Das was die drei Weisen aus dem Morgenland ankündigen, wird auch von den versammelten Schriftgelehrten direkt mit dem erwarteten Messias in Verbindung gebracht. Dieser Text bestätigt direkt die Verbindung von Jesus als dem erwarteten Messias und König

Neben dieser Stelle gibt es eine ganze Reihe weiterer Stellen, in denen klargemacht wird, dass Jesus der Messias und neue König der Juden ist. Die Ankündigung der Geburt des Johannes des Täufers, die Ankündigung der Geburt Jesu bei Maria, die Nachricht der Engel an die Hirten, die Weissagung des Simeon im Tempel und die Weissagung der Prophetin Hanna auch im Tempel. Alle diese Stellen sprechen von Jesus als dem kommenden oder gerade geborenen König.

Jesus, der sanfte König

Also kein Zweifel, Jesus ist als der erwartete Messias, als der König der Juden angekündigt. Aber in seinem ganzen Wirken, vom ersten öffentlichen Auftreten an hat Jesus diesen Anspruch nicht offiziell bestätigt. Im Gegenteil, er will im Verborgenen wirken. Er ist zuerst nicht gekommen, um eine Machtposition für sich zu beanspruchen, sondern um zu helfen, um den Menschen zu begegnen, um seine Verkündigung zu den Wartenden zu tragen.

Mit diesem Text ändert sich das. Jesus tritt auf in einem Symbol, das alle verstehen, er reitet auf einem Eselsfüllen in Jerusalem ein. Aus dem Text geht klar hervor, dass die Jünger und die Menschen um Jesus sofort wissen, was hier gespielt wird. Matthäus selbst weist auf den Sacharja Text hin, in dem es heisst:

Sach 9, 9-10

Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Die Reaktion der Leute

Man kann davon ausgehen, dass dieser Text zu den bekannten Texten gehört hat und dass sich Jesus bewusst dieses Symbols bedient. Dass das auch gleichzeitig eine Herausforderung an das herschende Establishment ist, sollte klar sein. Ich denke, ebenso klar ist der Grund, warum Jesus sich dieses Symbols bedient. Eigentlich hat er es nicht nötig, zu demonstrieren, dass er König ist, denn er IST der König, seine Sendung dient den Menschen nicht der Macht.

Aber durch diese Herausforderung wird er der herrschenden Kaste gefährlich, Rebellion liegt in der Luft. Und in dieser Atmosphäre kann Jesus dann seinen wirklichen Auftrag erfüllen, seinen Gang ans Kreuz. Aber diese Zusammenhänge zu analysieren wäre tatsächlich eine Predigt, die man zu Ostern halten sollte.

Der geschichtliche Hintergrund

Für viel interessanter halte ich hier die Frage, was geht eigentlich in den Jüngern und den Menschen um Jesus vor. Warum brechen sie hier in so frenetischen Jubel aus, nur um kurze Zeit später nichts weiter als „Kreuzige ihn“ rufen zu können? Welche Erwartungen hatten die Jünger und die Menschen um Jesus?

Geschichtlich sollte jedem bekannt sein, wie die Situation von Israel zu dieser Zeit war. Seit David und Salomo war das Grossreich Israel Vergangenheit. Zunächst gespalten in die beiden Teile Juda und Israel wurde es von oft sehr schlechten Königen regiert und schlitterte dann in die Katastrophe der militärischen Niederlage gegen Nebukadnezar. Nach der babylonischen Gefangenschaft konnte Israel und der Tempel widererrichtet werden, aber der alte Glanz war dahin.

In sehr schwierigen Kämpfen versuchten die gläubigen Juden den Einfluss der griechischen Kultur und Macht zu widerstehen und suchten dabei auch den Schutz der aufstrebenden Macht Rom. Spätestens seit Cäsars Sieg gegen Antonius und Kleopatra war Israel Teil des römischen Imperiums. Regiert wurde Israel von Königen von Gnaden Roms, die eigentlich gar nicht Teil der ursprünglichen jüdischen Aristokratie waren.

Die Sehnsucht blieb

Aber den Leuten, die wie fast überall versuchten in den wechselnden Koalitionen der politischen oder militärischen Macht ihr Auskommen zu finden, war der Glanz des alten Grossreichs nach wie vor präsent. Aus den Schriften, die sie fast täglich zu hören bekamen, wussten sie von der Verheissung des kommenden Königs, der die politische und geistige Ohnmacht Israels beseitigen und die alten Verhältnisse wiederherstellen würde.

Das alte Testament - der König

Schauen wir uns einmal die Stellen im alten Testament an, die den Leuten damals zur Verfügung standen:

In Psalm 2,5-9 heisst es:

Einst wird er mit ihnen reden in seinem Zorn, und mit seinem Grimm wird er sie schrecken:

(6)»Ich aber habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berg Zion.«

(7)Kundtun will ich den Ratschluß des HERRN. Er hat zu mir gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.

(8)Bitte mich, so will ich dir Völker zum Erbe geben und der Welt Enden zum Eigentum.

(9)Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen

Hier wird prophezet, dass der kommende König ein gewaltiger Kriegsherr ist und die Völker besiegen wird. Es ist klar, dass dies bei den Menschen den Traum vom grossen militärischen Sieg wach hält.

In Jer 30,8-10 heisst es:

Es soll aber geschehen zu dieser Zeit, spricht der HERR Zebaoth, daß ich das Joch auf deinem Nacken zerbrechen will und deine Bande zerreißen. Sie werden nicht mehr Fremden dienen,

(9)sondern dem HERRN, ihrem Gott, und ihrem König David, den ich ihnen erwecken will.

(10)Darum fürchte du dich nicht, mein Knecht Jakob, spricht der HERR, und entsetze dich nicht, Israel. Denn siehe, ich will dich erretten aus fernen Landen und deine Nachkommen aus dem Lande ihrer Gefangenschaft, daß Jakob zurückkehren soll und in Frieden und Sicherheit leben, und niemand soll ihn schrecken.

Dieser Text zeigt in dieselbe Richtung. Es geht um die Erettung Israels aus der Zwangsherrschaft. Wer will es den Leuten verdenken, dass sie dies auf ihre Situation anwenden, in der die fremden Römer ihnen fremde Gesetze aufzwingen und für die sie ungeliebte Steuer zahlen müssen.

In Jer 23,5 heisst es:

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, daß ich dem David einen gerechten Sproß erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird

Hier wird eine weitere wichtige Eigenschaft des kommenden Königs angesprochen, die Gerechtigkeit. Es ist die Hoffnung auf das Ende der Willkür, der Ungerechtigkeit und der Gewalt, die durch diese Stelle geweckt wird.

Und in Am 9, 11+12 heisst es:

Zur selben Zeit will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Risse vermauern und, was abgebrochen ist, wieder aufrichten und will sie bauen, wie sie vorzeiten gewesen ist,

(12)damit sie in Besitz nehmen, was übrig ist von Edom, und alle Heiden, über die mein Name genannt ist, spricht der HERR, der solches tut.

Hier wird ausgesagt, dass der kommende König mit den Übriggebliebenen des Landes das neue glanzvolle Reich aufbauen wird.

Das alte Testament - der Gottesknecht

Dies sind die Stellen, die von dem Glanz, der Macht und der Herrlichkeit des kommenden Königreiches sprechen. Natürlich gibt es daneben noch die Texte über den leidenden Gottessohn, den Mann des Schmerzens, demjenigen, von dem zunächst kein Glanz und keine Macht auszugehen scheint, wie z.B. in

Jes 53, 3-5

Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

(4)Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.

(5)Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt

Aber auch wenn diese Textstellen bekannt waren und auch Teil der Auslegungen in den Synagogen, wer kann den Leuten verdenken, dass sie auf diese Stellen kein so grosses Gewicht gelegt haben. Nein, Angesichts derSituation, der täglichen Begegnung mit Machtlosigkeit und Willkür und angesichts der Sehnsucht nach der besseren und gerechteren Welt, konzentrierten sich die Leute auf die Stellen, die ihnen genau das versprachen. Und damit waren sie auch so leicht in diese Richtung zu begeistern.

Die Enttäuschung der Leute

Es ist daher sehr gut zu verstehen, dass die Menschen so stark auf Jesu symbolische Geste ansprachen. Endlich war da einer, der die Macht, die Ausstrahlung und den Anspruch hatte, die Hoffnungen zu erfüllen. Einer aus dem Haus Davids, der alle Voraussetzungen erfüllte und auch einer, der sich um die leidenden Menschen kümmerte und ihnen half. Und Jesus rief Ihnen hier zu: ja, ich bin der, den ihr erwartet. Aber es gab ein aber dabei. Jesus sagt auch: Aber mein Reich ist anders als ihr euch vorstellt. Jesus erfüllt nicht nur ausgewählte Teile der Prophezeiung, sondern alles.

Doch das wollen die Leute nicht hören. Sie haben sich so verrannt in ihre Vorstellungen des militärischen Sieges und des neuen machtvollen Reichs, dass sie das bei Jesu nicht hören wollen. Als Jesus ihre Erwartungen enttäuscht wandelt sich ihr Hoseanna sehr schnell in ein „Kreuzige ihn“. Und so wird ein hoffnungsvoller Beginn zerstört dadurch, dass man versucht, Gott für seine Erwartungen und Bedürfnisse zu benutzen.

Wir sind schlauer!?

Wie gut, dass wir 2000 Jahre später so viel schlauer geworden sind, nicht wahr? Wir haben ja die Bibel als Orientierung und daher kann uns ein solcher Irrtum nicht unterlaufen, oder?

Nein, machen wir uns doch nichts vor. Wir sind nicht schlauer, nicht weiser als die Menschen damals. Dass wir eine Bibel haben, die uns Gottes Willen verkündet, nutzt uns gar nichts, weil wir genauso einseitig lesen, genauso blind sind für Gottes merkwürdige Wege wie die Menschen, die damals erst Hoseanna und dann „Kreuzige ihn“ gerufen haben. Ich behaupte, jeder von uns hat auf Grund der ihm eigenen Persönlichkeit ein bestimmtes Bild von Jesus und erwartet, damit richtiger zu liegen, als andere – Ich sowieso. Wir alle wissen, wie wir in den Hauskreisen und Gottesdiensten dieselben Texte lesen und zu zum Teil erheblich anderen Schlussfolgerungen kommen.

Beispiel Erfolg

Wie können solche Irrtümer nun aussehen? Nun, Beispiele gibt es eigentlich recht viele.

Ein Beispiel wäre der Satz „Wenn mir Gott eine Aufgabe gibt, dann läuft alles wie am Schnürchen“.

Das kennen wir doch alle. Wir bemühen uns, gute Christen zu sein und als solche gehört es zum guten Ton, den Herrn zu fragen, welche Arbeit er für uns hat. Also verwenden wir die uns bekannten Kommunikationswege, wir beten, wir fragen Mitchristen um Rat, wir lassen andere für uns beten, wir achten auf die Gelegenheit, die Gott uns vor die Füsse wirft. Und dann erleben wir, wie Gott antwortet, wir bekommen Klarheit, dass das der richtige Weg ist und wir ergreifen die Gelegenheit.

So weit so toll. Aber dann soll Gott gefälligst auch unsere Arbeit segnen, dann soll sie auch die Früchte bringen, die wir uns von ihr erhoffen.

Aber wie kommen wir denn darauf? Wer hat uns denn den Erfolg garantiert? Gott bestimmt nicht. Wir kommen darauf, weil wir wissen, Gott ist allmächtig, weil wir wissen, dass das geschieht, was er will und wenn er will, dass wir eine bestimmte Arbeit tun, dann muss es doch einfach fluppen.

Gut gedacht, aber wir machen hier die Rechnung ohne den Wirt. Ja, Gott ist allmächtig, ja, was er will, das geschieht, aber nein, unser Wille ist nicht notwendigerweise Gottes Wille. Vielleicht hat er ja nur das Ziel, dass wir etwas über uns selber lernen. Vielleicht will er ja uns nur unsere Grenzen aufzeigen, indem er uns in eine Aufgabe gibt und uns dann scheitern lässt. Ich habe zumindest aus meinen Niederlagen immer mehr gelernt als aus meinen Siegen. Wir können also bei den Aufgaben, die wir tun nur eines ganz genau wissen, egal wie tief wir fallen, wir fallen immer in Gottes Hand.

Beispiel geistlich

Ein weitere Beispiel wäre der Satz „Hauptsache geistlich“.

Auch dieser Satz ist etwas ganz normales in einem christlichen Leben. Es sind ganz einfache Dinge, die uns dazu leiten, eine Wertigkeit einzubauen. Was ist wichtiger, in einen Gottesdienst gehen oder zu einem Fussballspiel gehen, was ist besser, drei Stunden zu beten oder ins Kino gehen?

Es besteht ja kein Zweifel daran, dass zum Fussballspiel oder ins Kino gehen Sachen sind, die ein Christ ohne Probleme tun kann, aber ich glaube, kaum einer hier wird dabei nicht das Gefühl haben, dass in den Gottesdienst gehen oder lange beten doch schon wichtiger, besser, vorteilhafter wäre. Geistliche Tätigkeiten scheinen einen höheren Stellenwert zu haben als weltliche Tätigkeiten.

Diese Wertigkeit will ich gar nicht an sich in Frage stellen, aber sie muss das richtige Mass haben. Wenn man es übertreibt, dann wird man zu einer Quelle des schlechten Gewissens. Tut man etwas geistliches, selbst wenn man sich z.B. beim Beten oder bei der stillen Zeit nur so durchquält, dann fühlt man sich so, als hätte man Gott wieder einmal einen Gefallen getan und ist erleichtert, dass man es mal wieder geschafft hat, Gottes Wort zu befolgen.

Tut man etwas weltliches oder – viel schlimmer - etwas, was einem Spass macht, dann hat man ein schlechtes Gewissen und versucht permanent, sich zu rechtfertigen oder – wieder schlimmer – eine geistliche Rechtfertigung dafür zu suchen.

Aber so kleinkariert ist Gott gar nicht. In Prediger 3, 1-4 gibt es eine wunderschöne Passage

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:

(2)geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;

(3)töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;

(4)weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;

Dieser Text drückt zweierlei aus. Einmal, dass alle Dinge wichtig sind leben, sterben, beten, feiern, Krieg, Frieden, alles. Jeder Aspekt unseres Lebens ist vor Gott wichtig, egal ob wir im Gottesdienst still vor uns hinbeten oder ob wir uns in der Disco zu den Geräuschen eines startenden Düsenjets das Gehirn aus dem Kopf hopsen.

Zum zweiten drückt dieser Text aus, dass die Dinge dann richtig sind, wenn sie zur richtigen Zeit gemacht werden. So gibt es eine Zeit zum beten, dann sollen wir beten und es gibt eine Zeit zum feiern, dann sollen wir auch feiern, ohne schlechtes Gewissen, ohne Rechtfertigung, allein aus dem Lob für Gott, der uns dieses Leben geschenkt hat.

Gott ist wie ich denke

Ein letztes Beispiel für populäre Irrtümer wäre der Satz „So wie ich Gott erkenne und erlebe muss er auch für andere sein“

Auch das kennt jeder von uns. Wir lesen etwas in der Bibel und merken, wie sehr uns das betrifft. Wir gehen dem nach und spüren, ja so ist Jesus zu mir, z.B. der Herr, der mein Leben verändert. Also gehen wir hin und verkünden diese Sicht nach aussen und rufen „Jesus ist der Herr, der unser Leben verändern will“.

Und dann kommt doch dieser Andere an und entgegnet „Nein, Jesus ist mein Bruder, der mich nimmt, wie ich bin. Bei ihm kann ich echt sein“. Und erstaunlicherweise hat er auch noch Bibelstellen parat, die seine Sicht zu stützen scheinen.

Das können wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen und schleudern ihm die Bibelverse entgegen, die beweisen, dass Jesus der Herr ist, der unser Leben verändern will. Und was macht dieser Andere? Statt in Demut seinen Irrtum zu bekennen, beharrt er auf seiner falschen Sicht der Dinge und hat auch noch die Frechheit, uns als unchristlich zu bezeichnen, nachdem wir ihm durch einige deutliche christliche Liebesbeweise gezeigt haben, wo der Hammer hängt.

Natürlich habe ich hier in einem simplen Beispiel übertrieben, aber so läuft es doch nur zu oft ab und zwar ernsthaft. Ob bei der Diskussion um Kindertaufe oder Gläubigentaufe oder bei der Diskussion um Evolution oder Schöpfung oder bei der Diskussion um die rechte Art des Gottesdienstes, immer stehen wir in der Gefahr, in die stereotypischen Reaktionen zu fallen, die ich gerade karikiert habe.

Dabei hat Jesus uns doch gezeigt, wie es sein soll. Er hat auf den einzelnen Menschen geblickt und das getan, was für diesen Menschen ganz persönlich das Richtige war.

Gott ist individuell. Da soll es uns nicht verwundern, dass er verschiedenen Menschen verschieden erscheint. Da soll es uns nicht wundern, dass verschiedenen Menschen verschiedene Dinge wichtig werden. Das liegt nicht daran, dass Gott wechselhaft oder unklar wäre, das liegt daran, dass Gott sich jedem Einzelnen von uns ganz individuell zuwendet.

Ruft Hoseanna

Ich glaube, ich könnte mit den Beispielen der Irrtümer, denen wir heutzutage verfallen, noch stundenlang weitermachen. Aber die wichtige Aussage dieser Beispiele ist:

Wir schätzen auch heute, genau wie die Leute damals, Jesus zu oft falsch ein. Wenn wir das Gefühl haben, Jesus macht genau das, was wir wollen, dann stellen auch wir uns hin und rufen Hoseanna. Das ist nicht schlimm, das versteht Jesus und er freut darüber.

Doch wenn es sich zeigt, dass Jesus nicht so ist, wie wir es uns vorstellen, dann sollten wir nicht einen schweren Fehler machen: Uns hinstellen und „Kreuzige ihn“ rufen. Jesus ist der König, das sollten wir begreifen. Damit kann er bestimmen, auch wenn es uns nicht passt.

Amen.